„Da ist ja die Christel von der Post“, scherzt ein ältere Mann quer über die Straße. Kerstin Zirener lächelt den Spruch einfach weg. Den Gag hat sie sicherlich schon hunderte Male gehört. Lustig gemacht hat sich damit aber noch niemand über sie. Im Gegenteil: Die sympathische Postbotin – politisch korrekter: Briefzustellerin – ist in ihrem Sonsbecker Bezirk ein echter Lieblingsmensch.
Eigentlich hat Frau Zirener mal Metzgereifachverkäuferin gelernt. Als ihr Chef vor rund zehn Jahren altersbedingt aufhörte, hatte sie erst mal keinen Job. Da traf es sich gut, dass ein Bekannter sie fragte, ob sie nicht bei der Post anfangen wolle. Von der Straße auf die Straße: Ein Postbote verbringt die meiste Zeit des Tages zwischen zwei Hausnummern.
Wir laufen im Kreis
Seit einiger Zeit schon lässt die Deutsche Post Pakete und Briefe gemeinsam verteilen. Verbundzustellung heißt das und meint, dass ein Postbote für beides zuständig ist. Damit das gut klappt, müssen Briefe und Päckchen gut vorsortiert sein. Das macht Kerstin Zirener morgens als erstes, wenn der LKW aus dem Verteilzentrum in Krefeld stapelweise Post und Pakete gebracht hat. Einen Halbtagsbezirk hat sie, verteilt danach von 9.30 Uhr bis circa 13 Uhr ihre Fracht. Vor Weihnachten, wo alle Welt im Internet bestellt, türmen sich vor allem die Päckchen und Pakete im Laderaum. Bis maximal 31,5 Kilogramm befördert der Postbote die Lieferungen bis an die Haustüre.
„Und wie schaffen Sie die schweren Pakete?“ will ich als Tagespraktikant wissen. „Och“, sagt Frau Zirener „da fahre ich möglichst nah vor und geb‘ mein Bestes. Und wenn der Mann zu Hause ist, bitte ich den mit anzupacken.“ Sie muss lachen. So, wie sie das immer tut im Gespräch mit ihren Kundinnen und Kunden. Wirkt ansteckend, denke ich, und tatsächlich kann sich niemand an diesem Morgen ihrer guten Laune entziehen.
Unsere Arbeit verläuft in immer gleichen, kleinen Kreisen. Ankommen, aussteigen, drei bis vier Hausnummern auf der einen Straßenseite und drei bis vier Hausnummern zurück auf der anderen. Briefe und Pakete in der Hand. So wie die Kuverts am Morgen exakt dafür vorsortiert wurden, so warten auch die Pakete häufchenweise im Laderaum. „Das spart am Ende viel Zeit“, weiß Kerstin Zirener und schnappt sich einen Karton von Zalando. Weil ihr Handscanner sie daran erinnert, kann sie gar kein Paket vergessen. Das ist wichtig, weil es in der Vergangenheit immer mal wieder vorgekommen ist, dass Sendungen nicht rechtzeitig ankamen – oder die Leerung ganzer Briefkästen in Vergessenheit geriet und die ersten Briefe schon aus dem Schlitz quollen. Ein Ärgernis, dem ich als Abgeordneter vor gut einem Jahr nachgegangen bin.
Post ist ein Massengeschäft
Aus Sicht der Verantwortlichen bei der Deutschen Post kann so etwas in einem Massengeschäft mit rund 18 Milliarden Briefen jährlich schon mal passieren – dürfen darf es indes nicht. Personell und in der Ausstattung hat die Post seitdem massiv aufgestockt. In der ersten Dezemberwoche 2019 hat sogar ein neuer, großer Zustellstützpunkt in Xanten eröffnet. Die Halle ist noch ganz neu, von der Außenfassade hängen noch die Stromkabel herunter, an die demnächst die Ladestationen für die Elektro-Lieferwagen installiert werden. Überhaupt setzt die Deutsche Post zunehmend auf Technik.
Mit dem Handscanner piept sich ein Postbote durch den Tag. Das erinnert mich sehr an mein Praktikum bei Amazon. Im Speicher vermerkt sind nicht nur die Pakete aus dem Laderaum, sondern auch die Wünsche der Kunden. Wenn der Adressat hinterlegt hat, dass seine Sendung bei Abwesenheit auch auf der Terrasse oder beispielsweise in der Garage deponiert werden darf, erscheint das auf dem Display. Für Frau Zirener nicht nötig, denn sie kennt ihre Pappenheimer. „Auto steht nicht vor der Türe. Da ist keiner zu Hause. Aber Frau Müller nimmt das Paket gerne an.“ Dingdong. „Guten Morgen, wie geht’s dem Auge? Wieder besser? Sah ja schlimm aus die Tage“, erzählt die Postbotin in den Hauseingang hinein. Ihr Gegenüber freut sich sichtlich über das kleine, persönliche Schwätzchen.
Postbote sehnsüchtig erwartet
Einmal werden wir sogar schon erwartet. Kaum auf die Klingel gedrückt erscheint die ältere Wohnungsinhaberin und nimmt voller Freude den Stapel Post entgegen. Gerne auch das Paket der Nachbarin, die doch arbeiten ist. Der Mann liegt drin, muss gepflegt werden. Über den Service des Pflegedienstes wird heute Morgen diskutiert und mir fällt auf, dass Frau Zirener Multitasking beherrscht, denn nie lässt sie beim Sprechen ihre Post aus den Augen. Immer sortiert sie schon vor oder präpariert beim Sprechen bereits die Zustellbenachrichtigung für den abwesenden Nachbarn. Nur keine Zeit verlieren. Nur keinen Weg zu viel laufen. Dabei aber immer aufmerksam und freundlich.
Keinen anderen Job wolle sie machen, sagt die Postbotin auf unserer Runde. Das nehme ich ihr gerne ab, denn sie geht darin auf. Bei der Deutschen Post wird man dafür auch vergleichsweise gut bezahlt. In der Entgeltgruppe 3, in die jeder Postbote eingruppiert wird, verdient man rund um 2.500 Euro brutto im Monat. Je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit wird das mit den Jahren mehr. Im Vergleich mit dem Lebensmitteleinzelhandel, aus dem die quirlige Frau kommt, durchaus eine Verbesserung und kein Vergleich mit den Bedingungen bei anderen Paketdiensten. Deshalb war es gut, dass die Bundesregierung auf Initiative der SPD etwas zum Schutz der vielen Paketboten getan hat, die unsere Online-Bestellungen nach Hause fahren.
Aus dem Leben eines Postboten auf dem Land
Zurück auf der Straße finden wir einmal trotz aller Bemühungen niemanden, der das Paket für den weit über 80-jährigen Rentner entgegennimmt. „Der ist jetzt gerade sicher beim Arzt“, meint Frau Zirener. Normalerweise würde das Paket am Ende der Tour zur Abholung in den nächsten Post-Shop gebracht. „Aber das ist für den armen Mann doch eine Weltreise“, spricht die Postbotin mit Herz und druckt einen Aufkleber aus, der markiert, dass sie dieses Paket gleich morgen früh wieder mitnimmt. Damit sich der alleinstehende Senior den beschwerlichen Weg spart.
Langsam komme ich mir vor wie im Film. So idyllisch ist dieses Bild vom Leben eines Postboten auf dem Land. Doch gespielt ist hier nichts. Und wie zur Bestätigung öffnet sich kurz vor Ende unserer Tour eine weitere Tür. Wieder nimmt jemand gerne etwas an für die Nachbarin und erzählt dabei bereitwillig, dass sie gerade Weihnachtsplätzchen backt.
„Und was machen Sie?“ fragt mich die Frau.
„Pakete tragen, die für Frau Zirener zu schwer sind“, flachse ich.
„Das ist auch mal gut so. Passen ’se mir mal gut auf meine Kerstin auf. Das ist eine ganz Tolle!“
Ich glaube zu erkennen, dass Frau Zirener in diesem Moment ein klein wenig rot wird…
Dies ist eine Reportage über meinen Einsatz als Briefträger in Sonsbeck. Der Text ist deshalb subjektiv, beschreibt ausschließlich meine Beobachtungen und verzichtet – getreu den Regeln des Genres– auf Bewertungen und Kommentare. Mindestens zwei Mal im Jahr versuche ich, in meinem Wahlkreis einen Tag lang zu malochen. Das habe ich unter anderem schon auf dem Bauernhof, im Krankenhaus, bei der Müllabfuhr, beim Deutschen Roten Kreuz, auf dem Bau, beim Spargelstechen, in der Großbäckerei Büsch, bei Amazon und McDonald’s getan sowie bei der Polizei und in einem Seniorenheim.