Genau 12,5 Gramm Salat gehören auf einen Chickenburger. Sandra (Name geändert) greift in die Plastikwanne und legt genau 13 Gramm auf die Waage. Sie grinst zufrieden. Ab und zu testet sie sich selbst. Ansonsten legt sie allein mit Augenmaß die erforderliche Menge Salat und Zwiebeln auf die Burger-Brötchen, zählt Gürkchen und Tomaten ab. Gelernt ist gelernt, schließlich wird die junge Frau demnächst ihre Ausbildung zur Systemgastronomin ablegen. Und dazu gehört, dass man den Job bei McDonald’s von der Pike auf lernt. Eine Schicht lang will ich das auch mal probieren.
Ermöglicht hat mir das die Franchise-Nehmerin Melinda Rogall, die früher selber in den Restaurants ihres Vaters gejobbt hat. 1986 hat der Senior seine erste McDonald’s-Filiale in Moers eröffnet. Restaurants in Neukirchen-Vluyn, Rheinberg und zuletzt Kamp-Lintfort folgten. So entstand ein mittelständisches Unternehmen mit heute rund 250 Beschäftigten. Bevor Tochter Melinda das alles übernehmen konnte, musste sie zunächst selber eine Ausbildung bei McDonald’s machen, zeigen, dass sie ein Restaurant führen kann, und sich schließlich wie alle anderen als Franchise-Nehmerin bewerben. Sie hat es geschafft.
Meine erste Station heute sind die Fritteusen. Fleisch, Fisch, Apfeltaschen: Für jedes Lebensmittel gibt es einen eigenen Korb mit brutzelndem Rapsöl, das die jeweils passende Temperatur hat. Vom Tiefkühlschrank hinein ins Fett – ein Piepen erinnert uns kurze Zeit später daran, die frittierten Chicken McNuggets oder Fischstücke zu heben, um sie in einzelne Schubladen zu stecken. Dort warten sie wohlig warm darauf, mit der passenden Zange auf ein Brötchen umgebettet zu werden. Ein Monitor zeigt Sandra und mir, was die Kunden vorne an der Theke oder am „McDrive“ gerne hätten. Zuerst stecken wir das Brötchen in einen gigantischen Toaster, der wenige Sekunden später zwei heiße Hälften wieder ausspuckt. Belegt wird immer die Oberseite. Die bekommt erst einmal die passende Soße aus einer dicken Tube, die wie eine Silkonkartusche aus dem Baumarkt anmutet. Dann kommen wahlweise Salat, Zwiebeln, Tomaten oder Gurken und zuletzt das Fleisch- oder Fischstück oben drauf. Unterseite drauf und fertig.
Den Pappkarton kriege ich zu Beginn mehr schlecht als recht zu. Ist doch eigentlich einfach und doch tue ich mich schwer, weil ich möglichst schnell alles fertig bekommen möchte. Irgendwo wartet jetzt ein hungriger Kunde auf seinen Burger oder die 4er, 6er oder 20er Box mit frittierten Hähnchenstücken. Sandra bleibt die ganze Zeit über ruhig und abgeklärt. Ich muss ständig nachfragen, was noch gleich auf den Burger kommt.
Das Handwerk an der Basis, wenn man so will, hat im McDonald’s-Konzern jeder drauf. Sogar das Management muss mindestens ein Mal im Jahr ran. Am Todestag des Firmengründers, so erzählt mir Dagmar Burger vom regionalen Servicecenter in Offenbach, wird die Verwaltung geschlossen und alle Mitarbeiter üben sich vor Ort im Frittieren, Braten und Belegen. Das schützt vor Überheblichkeiten und macht aus Theoretikern Praktiker. Genau deshalb bin ich hier.
Kann ich bei Fisch-Mac, Chicken Nuggets und Chickenburger noch einigermaßen mithalten, überfordert mich die nächste Station völlig. Auf großen Grillplatten werden hier die Rindfleisch-Paddys für Hamburger, Cheeseburger und Co. gebraten. Nicht nur auf Bestellung, sondern immer auch auf Vorrat, denn im Laufe des Tages geht davon eine ganze Menge weg. Jetzt steht die Filialleiterin an der Spitze des Ganges und ruft uns die Bestellungen zu. Dabei muss sie im Blick halten, was vorne an der Theke los ist, ob noch ein Burger-Vorrat da ist und was aktuell zum Beispiel am Autoschalter nachgefragt wird. So wandern mal vier, sechs oder acht Brötchen auf den Grill. Ihnen folgt die gleiche Zahl Rindfleisch-Paddys, die je nach Zahl in einer festen Anordnung auf die Grillplatte gelegt werden müssen. Sonst kann es passieren, dass nicht alle gleichmäßig gar werden. Ich habe die ganze Zeit Sorge, mich an den heißen Platten zu verbrennen. Ich zögere immer wieder und muss überlegen, was denn noch mal auf den Royal TS kommt. Sandra und ihre Kolleginnen dagegen fliegen geradezu hin und her. Vorne an der Theke stehen sie in Dreierreihen. Keine Zeit zu zögern. Mit beiden Händen greifen die beiden Salate und Gürkchen, belegen mit der Präzision von Robotern einen Burger nach dem anderen. Verpackung drum und dann nach vorne durchgereicht.
In dem Regal, aus dem sich die Bedienung vorne das jeweilige Produkt nimmt, stehen immer auch Alu-Winkel, die wie kleine Buchstützen aussehen. Darauf sind Zahlen in schwarz oder rot gedruckt. Sie zeigen an, wann ein Burger fertig gestellt worden ist. Der Zeiger einer speziellen Uhr an der Wand weist auf die Ziffer hin, die bei Fertigstellung verwendet werden muss. Damit ist gleichzeitig klar, wie lange ein fertiger Burger auf hungrige Kundschaft warten darf. Ist die Zeit rum, wird das nicht abverkaufte Produkt vernichtet. Darauf wird übrigens ebenso penibel geachtet, wie auf die Sauberkeit. Für mein Praktikum musste ich eigens an einer so genannten „Hygiene-Belehrung“ beim Kreisgesundheitsamt teilnehmen. Auf weitere wichtige Regeln hatte mich dann noch die Filialleiterin hingewiesen, so dass ich nun jedes Mal einen neuen blauen Plastikhandschuh überziehe, wenn ich ein tiefgefrorenes Stück Rindfleisch auf die Grillplatte lege. Spätestens ein Mal in der Stunde wasche ich mir die Hände – meist aber schon viel früher, weil ich mir mit der Hand durchs Gesicht gefahren bin, oder weil ich reflexartig gekleckerte Soße vom Finger geleckt habe. Sofort geht’s dann zum Waschbecken.
Nach einer Dreiviertelstunde am Grill gebe ich auf. Ich stehe mehr im Weg, als ich helfen kann. Dabei zählt für Sandra und ihre Kollegen jede Sekunde. Dass ich den reibungslosen Betriebsablauf störe, lassen sie sich aber nicht anmerken. Freundlich wiederholen sie immer wieder auf meine Nachfrage, was und wie viel genau nochmal auf den Burger kommt. Auf den Zuruf der Filialleiterin hören, die Grills im Auge behalten, korrekt belegen und sich bei all dem nicht verbrennen – für mich definitiv zu viel Multitasking! Ich wechsle zum Autoschalter.
Der Erstkontakt mit dem Kunden läuft hier über Kopfhörer. Ich bekomme auch so ein Ding und höre fortan die Dialoge zwischen Cornelia (Name geändert) und den Insassen der Autos, die am späten Nachmittag zuhauf vorbeigefahren kommen. „Willkommen bei McDonald’s, Ihre Bestellung bitte.“ Vor zwei Touchscreens steht Cornelia. Rechts nimmt sie die Bestellung auf. Alle Produkte sind hier gelistet – Aktionsangebote ebenso wie zum Beispiel die Bild-Zeitung und die Coupon-Aktion, die gerade mal wieder läuft. Links ist das Kassensystem, mit dem aus- und abgerechnet wird.
„Ich nehm’ den Coupon 120.“
„Ein Getränk dazu?“
„Nein danke.“
Cornelia und ihre Kollegen sind gehalten, die möglichst günstigste Kombination für den Gast zusammenzustellen. Deshalb fragen sie auch schon mal nach und machen dann auf Wunsch zum Beispiel aus einzelnen Gerichten ein Menü. So will es das Unternehmen und kontrolliert regelmäßig, ob sich alle auch genug Mühe geben. Ohne Vorwarnung kommen dann Tester zum Essen vorbei – mal ins Restaurant, mal als motorisierter Kunde.
Jedes Fahrzeug wird akustisch angekündigt, sobald es den Torbogen an der Zufahrt durchfahren hat. „Auto“, erklingt es dann im Kopfhörer. Jetzt hat Cornelia zehn Sekunden Zeit, um sich zu melden – so die Qualitätsmaßgabe. So lange wenig los ist, klappt das gut. Die meiste Zeit aber begrüßt die junge Frau den nächsten Kunden schon, während sie noch dem Fahrer davor sein Wechselgeld aushändigt, oder sie irgendwo in der Küche kleinere Arbeiten erledigt. Denn nur die Bestellung aufzunehmen, das ist kein abendfüllender Job bei McDonald’s.
Cornelia arbeitet genauso ruhig wie ihre Kollegin zuvor. Multitasking scheint in diesem Job das A und O zu sein. Vielleicht arbeiten deshalb gefühlt sehr viel mehr Frauen als Männer in dem Fast-Food-Unternehmen. Mir fällt es dagegen schwer, meine Aufmerksamkeit immer auf mindestens zwei verschiedene Tätigkeiten gleichzeitig zu lenken. Um das zu beherrschen, braucht man vor allem Routine. Dann laufen die Tätigkeiten scheinbar wie von selbst. Das macht auf Dauer zwar körperlich müde, bringt aber den Geist ans Rotieren. Nach der Spätschicht, gibt Cornelia zu, müsse sie auch erst mal wieder „runterkommen“, bevor sie ins Bett gehen könne. Gerade für den Dienst in den Abend- und Nachtstunden erhält sie deshalb einen 15-prozentigen Zuschlag. Gezahlt wird bei McDonald’s nach Tarif. Zum Einstieg beträgt der Brutto-Stundenlohn in Westdeutschland 7,71 Euro. Hinzu kommen in den Restaurants von Melinda Rogall Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Wäschegeld. Ein kostenloses Essen pro Schicht gehört ebenfalls zur Entlohnung. [Ergänzung vom 29.9.14: Wie ich in der Berliner Zeitung lesen muss, versucht McDonald’s auf Kosten der Mitarbeiter den Mindestlohn umzusetzen. Ein Thema, das ich gerne während meiner Schicht angesprochen hätte. So werde ich die Firmenzentrale um eine Stellungnahme bitten, die hier ebenfalls veröffentlicht wird.]
Das gönne ich mir zum Abschluss meines Tagespraktikums und nutze die Gelegenheit, eine Frage loszuwerden, die mich schon immer beschäftigt hat: Warum landen in den Getränken eigentlich immer Eiswürfel? Dagmar Burger muss lachen: „Die Frage kommt immer und manche meinen, das wäre so, damit wir weniger Cola einschütten können. Da kann ich Sie aber beruhigen: Die Getränkemenge ist immer exakt die bestellte. An den Eisstücken bleiben aber die Kohlesäure-Bläschen länger hängen und das Getränk schmeckt so viel länger frisch.“ Hätten wir das also auch geklärt.
Dies ist eine Reportage über meinen Arbeitstag bei McDonald’s. Der Text ist deshalb subjektiv, beschreibt ausschließlich meine Beobachtungen und verzichtet – getreu den Regeln des Genres– auf Bewertungen und Kommentare. Mindestens zwei Mal im Jahr versuche ich, in meinem Wahlkreis einen Tag lang zu malochen. Das habe ich unter anderem schon bei Amazon getan und in einem Seniorenheim.