Amazon macht Schlagzeilen. Nicht mit seinem neuen Smartphone, den neuen Kindle-Modellen oder seinem Video-Streamingdienst, sondern derzeit vor allem mit Nachrichten über die Streiks in den Versandzentren und dem rüden Geschäftsgebaren gegenüber Schriftstellern und Verlagen. Fast immer wird dabei über und nicht mit Amazon gesprochen. Das liegt daran, dass sich das US-Unternehmen generell nicht äußert. Doch wie lange kann so etwas gutgehen?
Ziemlich zu Beginn meiner Amtszeit wurde in Rheinberg über die Gründung eines Betriebsrates gestritten. Damals suchte ich den Kontakt zu Amazon, um den Verantwortlichen klar zu machen, dass sie unterstützen sollten, was sie ohnehin nicht verhindern können und dürfen. Nach langem Hin und Her hieß es damals, dass man einer Gründung nicht im Weg stehe, sie aber auch nicht fördern wolle. Heute gibt es ihn, den Betriebsrat, und selbst die Manager vor Ort bestreiten nicht mehr, dass er so manchen Segen für Mitarbeiter und Firma gebracht hat. Fragt man den Betriebsratsvorsitzenden Tim Schmidt, so laufen die Zusammenarbeit und der Austausch prima. Im Rahmen eines Tagespraktikums habe ich selber tiefen Einblick in den Maschinenraum des Internetgiganten gewonnen. Warum also nicht von Beginn an Unterstützung für die Gewerkschaftsarbeit? „Das ist nicht Amazon-like“, war damals eine der Begründungen gegen ein größeres Engagement.
Diese Direktive stammt direkt aus der Firmenzentrale in Seattle. Hier wird alles rückgekoppelt, was von Seiten der deutschen Öffentlichkeitsarbeiter vorgeschlagen oder unternommen wird. So auch ganz aktuell die Anfrage der SPD-Landtagsfraktion, ob nicht auch ein Vertreter von Amazon bei unserer Podiumsdiskussion zur „Zukunft des Buches“ teilnehmen könne. Nach langer Prüfung – und wahrscheinlich der Schleife über Seattle – dann die Antwort: „Wir bedanken uns herzlich für die Einladung, können aber leider nicht teilnehmen.“ Auf telefonische Nachfrage die Begründung: „Wir stecken lieber all unser Engagement in die Entwicklung unserer Produkte und die Zufriedenheit unserer Kunden.“
Feinstes Marketing-Sprech, das eines außer Acht lässt: Die Kunden sind wir alle! Am oben erwähnten Landtagstalk werden bis zu 150 Gäste teilnehmen. Weitere Zuschauer werden die Diskussion mit Vertretern aus Verlagswesen, Buchhandel und aus der Autorenschaft im Live-Stream verfolgen können. Sie alle hätten gerne mit und nicht über Amazon diskutiert. Die Chance besteht nun leider nicht. Irgendwie fühlt man sich fatal an Helmut Kohl erinnert, der brenzlige Situationen am liebsten ausgesessen hat. Leider oft erfolgreich. Doch die alte Bundesrepublik Deutschland und ihr politisches System hat wenig mit dem digitalen Leben heute zu tun. Insofern kann ich die Haltung Amazons überhaupt nicht verstehen!
Selbst wenn es darum ginge, bei einer solchen Veranstaltung über die häufig geäußerten Kritikpunkte an Amazon zu sprechen, bliebe dem Unternehmensvertreter genug Raum, um über die positiven Seiten des Handelsgiganten zu sprechen. Schließlich ist Amazon nur so erfolgreich, weil es etwas bietet, wonach die Kunden lechzen: Rund um die Uhr günstig shoppen an einem Online-Handelsplatz, der vertrauenswürdig ist und schon am nächsten Tage das liefert, was ich gerne haben möchte – oder ich schicke es flugs kostenlos zurück. Gleichzeitig werden meine Käufe digitaler Kulturgüter im Netz gespiegelt (Amazon Sound Cloud) oder ich bediene mich einer Online-Videothek mit zahlreichen exklusiven Angeboten. Das alles am liebsten auf (subventionierten und deshalb vergleichsweise günstigen) Geräten von Amazon. Hier entsteht auf Kundenseite ein geschlossenes System mit allen Annehmlichkeiten aber auch Abhängigkeiten. Amazon weiß um diese Marktmacht, die immer weiter wächst und den Kunden ewig zu binden droht. Das macht das Unternehmen so selbstbewusst, dass es alle Negativ-Diskussionen einfach ignoriert.
Der gesellschaftliche Diskurs wird dann eben ohne das Unternehmen geführt. So zu entscheiden ist das gute Recht des Versandhändlers. Ich glaube aber mittlerweile, dass wir als Kunden unseren Unmut über diese Gleichgültigkeit uns gegenüber viel deutlicher machen sollten. Denn noch haben wir die Wahl und können anderswo einkaufen, wo uns der Verkäufer nicht einfach den Rücken kehrt, wenn er mit unseren Fragen nicht einverstanden ist. Das kann auch im Internet sein – noch besser natürlich im Laden um die Ecke. Vielleicht überdenkt Amazon dann eines Tages die eigene PR-Strategie.
Bis dahin gilt das Angebot aus der Absage-Mail von Amazon: „Wir bleiben gerne im Dialog.“ Was auch immer das Unternehmen mit Dialog meint…
Bildquelle:
„In an abandoned train tunnel in the Paris Metro, 2014“ von freeside510 from USA – Silence. Lizenziert unter Creative Commons Attribution 2.0 über Wikimedia Commons – http://bit.ly/1rnSQEu