„Und, wie gefällt Ihnen unser Betrieb?“ Die Frage von Landwirt Ernst Hußmann nach einem arbeitsreichen Tag auf seinem Schweine-Hof bringt mich ins Stottern. Dabei ist die Antwort einfach: sehr gut! Verwirrt bin ich, weil die vergangenen neun Stunden meine Weltsicht ein großes Stück weit verschoben haben. Weg von Bullerbü, mittenrein in die Realität.
Am Küchentisch beginnen und enden die Arbeitstage der Familie Hußmann aus Alpen. Zwei Generationen bewirtschaften den Traditionshof, der Ferkel züchtet und die Schweine anschließend mästet. Die schlachtreifen Tiere werden schließlich abgeholt und in Schlachtbetrieben im Münsterland zu Fleisch und Wurst weiterverarbeitet. „Hiesige Schlachtereien gibt es längst nicht mehr“, bedauert Vater Hußmann, der noch die Zeiten kennt, als in unmittelbarer Nähe Metzger und Schlachter seine Tiere verarbeiteten. Immer striktere Auflagen und Gesetze setzten dem ein Ende. Mittlerweile gibt es noch nicht mal mehr große Schlachtereien im Umkreis. Die Schweine werden deshalb am Ende ihres Lebens auf großen Lastwagen durch die Gegend gefahren.
Daran kann die Familie Hußmann wenig ändern. Im Gegenteil warten Vater Ernst und Sohn Thomas auf die womöglich nächste große Veränderung. Weil das Kastrieren von Ferkeln so, wie es derzeit praktiziert wird, als zu schmerzhaft für die Tiere angesehen wird, sollen demnächst womöglich Tierärzte narkotisieren und den Schnitt vornehmen. Kaum zu leisten, meinen die Landwirte. Dafür gebe es zu viele Schweine und zu wenige Tiermediziner.
Ferkelkastration bei YouTube
Ich selber erlebe an diesem Morgen keine Ferkelkastration. Dafür hat ein Berufskollege der Hußmanns ein Video bei YouTube eingestellt, das nicht nur das Für und Wider beleuchtet, sondern die Behandlung praktisch zeigt. Nicht unbedingt was für zartbesaitete Seelen. Aber schaut selbst:
Nach der ausgiebigen Diskussion am Küchentisch geht es ab in die Schweine-Ställe. Die sind durchnummeriert und beschriftet – nicht für mich, sondern für eine Veranstaltung vor ein paar Jahren. Zu Hunderten sind die Besucher damals auf ihrer „Tour de Flur“ auch in Alpen vorbei gekommen. Verbraucher, die sonst ihr Fleisch in der Stadt kaufen, wollten mal sehen, woher Schinken und Schnitzel eigentlich stammen.
Schweine-Züchter fürchten Schweinepest
Nicht überall kam und kommt man dabei rein. Denn vor nichts haben die Tierzüchter mehr Angst, als dass irgendeine Krankheit eingeschleppt werden könnte. Ich bekomme deshalb einen eigenen Overall und dicke Gummistiefel übergezogen. Letztere muss ich an der Türe zu jedem neuen Stall wechseln, damit nicht irgendwo zwischen Ferkel- und Maststall ein Virus hin- und hergeschleppt wird. Gerade grassiert im Ausland die Afrikanische Schweinepest. Wenn die nach Deutschland kommt, so fürchten Landwirte, kann man mit massenhaften Infektionen und in der Folge mit Tötungen von ganzen Tierherden rechnen. Und die sind das Wertvollste, was die Züchter haben.
Darum begegnen die Hußmanns ihren Schweinen auch mit Respekt. Daran zweifle ich kurz, als ich die trächtigen Sauen in ihren Kojen liegen sehe. Über 200 Kilogramm wiegen die Tiere mit im Schnitt 15 kleinen Ferkeln im Bauch. Kurz vor dem Abferkeln und solange der Nachwuchs gesäugt werden muss, stehen und liegen die Muttersauen eng zwischen Gitterstäben. Sieht ungemütlich aus und ist es wahrscheinlich auch. Aber hier gilt es abzuwägen: „Wenn wir die Sauen nicht so strikt von ihren Ferkeln trennen, dann kann es passieren, dass sie die Kleinen schlicht totquetschen“, weiß Thomas Hußmann. Das Leben der kleinen Ferkel gegen drei Wochen Enge für die Sauen. Darum geht es letztlich.
Die Hußmanns wissen, dass mit Bildern von den eng liegenden Muttersauen gerne Stimmung gemacht wird. Denn das Foto alleine schreit: Hier wird ein Tier gequält! Mit der Erklärung, dass damit das Leben der Ferkel geschützt wird, kommt ein ausgewogeneres Bild zustande. Langsam beginne ich zu verstehen, dass Landwirt zu sein auch heißt, dass man eine pragmatische Sicht auf die Haltung von Tieren bekommen muss.
Ferkel bekommen drei Impfungen
Eine solche Sicht kommt mir dann auch bei meiner ersten Aufgabe des Tages zugute: der Ferkelimpfung. Um zu vermeiden, dass der Ferkelbestand krank wird, verabreicht der Bauer seinen Schweinen insgesamt drei Impfungen gegen gängige Erkrankungen. Gemeinsam mit Ernst Hußmann und seiner Frau Doris betrete ich die Ferkel-Abteilung. Hier sind sie schon was größer und mittlerweile von den großen Mutter-Sauen getrennt, die sich von der Geburt und den drei Wochen Enge nun im Außenbereich und auf Stroh erholen können.
Jede Abteilung im Stall hat insgesamt acht Kojen, in denen sich jeweils rund 30 kleine Ferkel tummeln. Sie stehen auf so genannten Spaltenböden. Bei dem Begriff habe ich immer an Rohre gedacht, die eng nebeneinander im Boden eingelassen sind und auf denen die Tiere nur wackelig stehen können. Ganz anders die Realität: Die Betonplatten auf dem Boden haben zwar Schlitze, durch die Urin und Kot der Tiere hindurch können – mit den Hufen hängen bleiben können die Schweine dagegen nicht. Dafür können die Ställe besser sauber gehalten werden. Läge hier Stroh, würden sich die Tiere binnen kürzester Zeit im eigenen Kot wälzen.
Mit einem beherzten Griff fängt Doris Hußmann ein Tier nach dem anderen. „Sie können die Ferkel an den Hinterläufen nehmen. Das tut ihnen nicht weh“, rät Frau Hußmann und zieht ein kleines Ferkel zu sich heran. Auch wenn ihnen nicht wehtut, quieken die Tiere unglaublich laut, während sie auf meinem Arm sind. Klar, denke ich mir, die haben Schiss. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn beim dritten Tier merke ich, wie es warm wird an meinem Bauch. Ich schaue an mir herunter und sehe, wie Ferkelkot einen feuchten, großen Fleck auf meinem Overall formt. „Bringt hoffentlich Glück“, denke ich.
Je kleiner die Schweine, desto wärmer der Stall
30, 40, 50 kleine Ferkel gehen durch meine Hände. Fangen, hochheben, dem Landwirt hinhalten, der mit einer Mehrfachspritze eine festgesetzte Menge des Impfstoffes in den Nacken spritzt. Dort, wo die Tiere es maximal so spüren, wie Kinder, die geimpft werden. Mir bricht der Schweiß aus. Weil die Tiere jetzt schon ordentlich was wiegen – gerne 30 Kilogramm und mehr. Aber auch, weil es in Schweineställen heiß ist. Je kleiner die Tiere, umso wärmer der Stall. Erst mit der Zeit kann die Heizung niedriger gestellt werden.
Willkommen ist da die kühlere Luft, als wir später wieder auf den Gang vor das Abteil treten. „Da müssen Sie nur aufpassen, dass Sie sich nicht erkälten“, rät Senior Ernst Hußmann und zieht seinen Kragen hoch. Harte Arbeit ist er sein Leben lang gewöhnt. Womit er weniger klar kommt, das ist der sinkende Respekt vor dem, was er tut. Wenn Radfahrer sich die Nase zuhalten, wenn er mit dem Güllefass vorbeifährt. Oder wenn vollkommen Unbekannte ihm den Stinkefinger zeigen, während er das Feld mit Pflanzenschutzmitteln spritzt. Wenn er mir das so erzählt, klingt die Ratlosigkeit durch. Ratlosigkeit, weil er doch nichts Ungesetzliches tut. Im Gegenteil ernährt er mit seiner Arbeit doch eben die Menschen, die ihm so unfreundlich begegnen.
Fisch statt Schwein
Darüber sprechen wir auch beim Mittagessen weiter. Überraschung: Anders als ich erwartet hatte, gibt es kein Schnitzel sondern Fisch. „Wir sind gläubige Katholiken“, erklärt Doris Hußmann. Und außerdem könne man einmal die Woche gut auf Fleisch verzichten. Überhaupt müsse man nicht jeden Tag Fleisch essen. Bewusster leben, das ist auch ein Thema in der Landwirtschaft. Dem Schweinezüchter nimmt man ab, dass es ihm wehtut, wenn Menschen im Restaurant halb aufgegessene Mahlzeiten stehen lassen. Fleischstücke, für die ein Tier geboren, gemästet und geschlachtet werden musste, begegnet man besser mit Respekt. Undenkbar, dass das Lebensmittel Fleisch weggeworfen wird. Aber wieviel Wert hat es noch, das Fleisch?
Derzeit erhalten die Landwirte rund 1,80 Euro pro Kilogramm Schweinefleisch. Endlich mal ein auskömmlicher Preis, der zustande kommt, weil die Schweinepest in China wütet und die Nachfrage nach deutschem Fleisch entsprechend hoch ist. Noch vor wenigen Monaten verdienten die Bauern gerade mal 1,36 Euro. „Das hat keinen Spaß gemacht“, erinnert sich Thomas Hußmann. Macht in guten Zeiten einen Erlös von rund 180 Euro pro Schwein. Nicht viel, wenn man an die Kosten und die Arbeit denkt, die ich heute kennen lerne. Und wenn davon zwei Generationen leben sollen.
Vorteile durch neues Tierwohl-Label
Darüber denke ich nach, als wir uns essensschwer wieder aufmachen, um rauszufahren auf die Felder. Zuckerrüben, Kartoffeln und so genannte Triticale baut die Familie an. Ein kleiner Nebenerwerb bzw. die Basis für das Futter, das sie ihren Tieren geben. Längst produzieren sie es nicht mehr selbst. Das übernimmt die landwirtschaftliche Genossenschaft für sie. So fallen in der Masse Qualitätsschwankungen bei der einzelnen Ernte weniger ins Gewicht. Ohnehin, so erzählt mir Ernst Hußmann, arbeiten Landwirte an ganz vielen Stellen zusammen, teilen sich Geräte und tauschen sich aus über Zuchterfolge und Ernteerfahrungen.
Am Nachmittag richten wir noch den Bereich her, in dem die Sauen sich nach Abferkeln und Säugen des Nachwuchses auf frischem Stroh erholen können. Die Hußmanns überlegen gerade, an der Haltung ihrer Schweine etwas zu ändern. Mehr Platz, mehr Stroh, mehr frische Luft. Das macht zwar jede Menge mehr Arbeit, kostet Investitionen und birgt das Risiko, dass sich die Schweine draußen mit Würmern infizieren. Dafür bekäme das Fleisch aber eine bessere Beurteilung beim neuen Tierwohl-Label der Lebensmittelindustrie. Das Schweinefleisch, das derzeit verkauft wird, kommt über Stufe 1 (Stallhaltung) nicht hinaus. Damit sich daran etwas ändert, müssten die Produzenten die Gewissheit haben, dass sich Arbeit und Investitionen dauerhaft lohnen.
Ende eines langen Tages
Wir ziehen die Radmuttern beim Trecker fest und schauen im Computer nach, ob auch alle Tiere genug gefressen haben. Weil sie neben der vorgeschriebenen Ohrmarke alle auch einen Transponder tragen, erkennt der Futterautomat das automatisch. Tatsächlich müssen Thomas Hußmann und ich ausrücken, um zwei jungen Sauen auf die Sprünge zu helfen. „Die eine oder andere muss das erst noch lernen“, verrät der Jung-Bauer. Danach ist Schluss für mich – für die Hußmanns dagegen noch lange nicht. Denn zu tun gibt es genug auf diesem Hof, auf den die Familie zurecht stolz ist. „Und, wie gefällt Ihnen unser Betrieb?“ Nach kurzem Überlegen kommt meine Antwort ernst und aufrichtig: „Sehr gut!“
Mein Fazit
Normalerweise verzichte ich bei meinen Praktikumsberichten auf eine Kommentierung (siehe unten). Doch ich merke beim Schreiben dieser Zeilen, dass die Sprache etwas aus den Tieren macht. Nämlich das, was sie sind, wenn man sie zum Zwecke der Schlachtung und des Verzehrs züchtet: Sie sind ein Produkt. Ein Lebensmittel. Wo Schweine und Rinder keine Streichel- sondern Nutztiere sind. Da ist kein Bullerbü, auf dem die Schweine Namen bekommen und Lisa, Lasse und Bosse als Vegetarier leben, um ihren besten Freund nicht schlachten zu müssen. Wenn eine Gesellschaft Fleisch verzehren möchte, dann heißt das zwingend auch, dass extra dafür Tiere gezüchtet werden. Nicht erst seit gestern, sondern seit hunderten von Jahren.
Mein Praktikum auf dem Schweinemastbetrieb hat mir das deutlich vor Augen geführt. Wir alle machen uns keine Gedanken, woher die Wurst mit dem lustigen Gesicht oder das Mett auf dem Brötchen kommen. Beides wächst nicht auf Bäumen oder schwebt aus dem Nichts ins Kühlregal des Supermarktes. Das blenden wir manchmal einfach aus, um uns dann darüber zu entsetzen, wie Nutztiere in Ställen gehalten werden. Diese Aufregung, das nehme ich von meinem Praktikum im Schweinemastbetrieb mit, ist selbstgerecht und trifft die Menschen, die in unserem Auftrag Fleisch(!) züchten.
Die Landwirte tun das mit Respekt gegenüber ihren Tieren. Weil sie aber Nutztiere halten und keinen Streichelzoo managen, ist der Umgang mit ihnen robuster. So, wie es Menschen außerhalb der Landwirtschaft vielleicht nicht mehr gewohnt sind. Darum meine abschließende Bitte: Nehmt Abschied von Bullerbü! Schaut Euch an, wie unsere Landwirtschaft – und nicht nur die Schweinezüchter – arbeiten. Lasst Euch von Bauern wie der Familie Hußmann oder auf YouTube und Instagram die Hintergründe erklären. Danach kann jeder selbst für sich entscheiden, wovon er sich ernährt. In dem Wissen darum, wo es herkommt, und in der Gewissheit, dass es Bullerbü in Wirklichkeit gar nicht geben kann.
Meine Praktikumsberichte
Dies ist eine Reportage über meinen Einsatz auf dem Bauernhof der Familie Hußmann in Alpen. Der Text ist deshalb subjektiv, beschreibt ausschließlich meine Beobachtungen und verzichtet – getreu den Regeln des Genres– auf Bewertungen und Kommentare. Mindestens zwei Mal im Jahr versuche ich, in meinem Wahlkreis einen Tag lang zu malochen. Das habe ich unter anderem schon im Krankenhaus, bei der Müllabfuhr, beim Deutschen Roten Kreuz, auf dem Bau, beim Spargelstechen, in der Großbäckerei Büsch, bei Amazon und McDonald’s getan sowie bei der Polizei und in einem Seniorenheim.
Sehr objektiv geschrieben.
Danke für den Versuch die Hintergründe zu erklären.
Danke dafür an Familie Hussmann und an René Scheider.
So ein Bericht müsste in jede Tageszeitung.
Freundliche Grüße
W. Fischer