„Wo brennt’s im Wald?“, wollte ich angesichts von Dürre-Sommern und Klimawandel wissen. Eine Woche lang habe ich intensiv gesprochen mit Förstern und dem Jäger Heinrich Lehmbrock, habe ein Praktikum im Wald gemacht und mit Experten bei einem Waldgipfel* diskutiert. Das Ergebnis ist erschütternd, denn eigentlich brennt es derzeit überall im Wald! Ein Bericht von vor Ort.
Der Baron bleibt ruhig und lächelt. Ich selber kämpfe dagegen im langsam wieder einsetzenden Regen um Fassung. Auf dem Waldweg in Meerbusch stehen sich Waldspaziergänger (Mitte 50, Funktionsjacke, hoch geschnürte Wanderschuhe) und Waldbesitzer Friedrich Freiherr von der Leyen (Hände tief im Lodenmantel versenkt, Jagdhund an seiner Seite) gegenüber. Der eine hat sich gerade beschwert über den Zustand der Wege. Der andere pariert: „Ich finde die Wege sind doch in einem guten Zustand.“ Touché.
Erst später wird mir bewusst, wie exemplarisch diese Begegnung für das Verhältnis des Deutschen zu „seinem Wald“ ist. Obwohl sich rund die Hälfte der Wälder in Deutschland in Privatbesitz befinden, gibt uns ein weitreichendes Waldbetretungsrecht das Gefühl des Gemeingutes. Selten machen wir uns Gedanken darüber, von welchem Geld Waldwege instandgesetzt oder Bäume verkehrssicher getrimmt werden. Während das im staatlichen Forst zumeist von Landesbediensteten erledigt und mit Steuergeldern finanziert wird, müssen die rund zwei Millionen privaten Waldbauern in Deutschland sehen, wie sie das Geld fürs Offenhalten des Waldes verdienen.
Auch deshalb bin ich so sprachlos an diesem Mittag. Ich möchte dazwischen gehen und erklären, was eigentlich Sache ist. Denn die Situation kommt mir so vor, als käme jemand uneingeladen zu Besuch, würde mit offenen Armen empfangen und beschwere sich als erstes über die Macken im Wohnzimmerparkett. Nur woran sollen Waldbesucher:innen auch erkennen, bei wem sie gerade zu Besuch sind? Was sind die Regeln, an die ich mich im Wald zu halten habe?
Wald braucht Geld
Das wird das Thema der nächsten Minuten sein. Danach verlassen der Baron und ich den Weg und laufen gemeinsam mit Förster Dirk Bening querfeldein. Wir wollen die Holzmengen messen, die nach einer Fällaktion im Wald nun zum Verkauf stehen. Länge mal durchschnittlicher Stammdicke in der Mitte der gefällten Riesen ergeben zusammen mit der Qualität des Holzes einen Preis. C- und D-Qualität sind üblich, selten kommt ein gutes B hinzu. „Und die A-Qualität finden Sie mittlerweile höchstens noch im Spessart“, hatte mich Dirk Bening bereits am Vormittag aufgeklärt, als wir durch den Forstbestand der von der Leyens in Neukirchen-Vluyn liefen.
A, B, C, D: Vier Buchstaben, die vielleicht schon die ganze Misere der Waldbauern in Deutschland beschreiben. Früher konnte ein Betrieb vom Fällen ausreichend vorhandener, gesunder Bäume (Klasse A) sehr gut leben. Heute dagegen müssen die Forstleute vor allem „Kalamitätsholz“ fällen. Heißt: Von Stürmen, Dürre und Borkenkäfern heimgesuchte Bäume kommen unter die Motorsäge. Das ist nicht immer das beste Holz und bringt entsprechend einen geringeren Preis. Während die Fixkosten bleiben.
Bäume unter Stress
Von der Fichte haben sie sich im Forstbetrieb Bloemersheim längst verabschiedet. Der Bestand war nicht mehr zu halten. Nach Stürmen und trockenen Sommern erledigten Borkenkäfer den Rest. Jetzt suchen die Forstbetreiber resistente Ersatzpflanzen, die all die Strapazen im Klimawandel mitmachen. „Roteiche und Douglasie scheinen uns hier derzeit am vielversprechendsten zu sein“, sind sich Baron von der Leyen und sein Betriebsleiter Dirk Bening einig. Das Problem: Wer vom Staat bei der Aufforstung finanziell unterstützt werden möchte, muss mindestens 70 Prozent heimische Arten pflanzen.
Viele Waldbesitzer:innen sehen darin keinen Sinn. Die nicht-heimischen Arten, zu denen auch die Küstentanne zählt, seien mittlerweile heimisch geworden. Sie trotzen den widrigen Bedingungen besser als die heimische Buche oder Eiche. Verantwortliche des Landesbetriebes „Wald und Holz“ sehen das ebenso und wünschen sich für die Zukunft „klimastabile Mischbestände“.
Im Wald zwischen Vluyn und Schaephuysen sehe ich während meines Tagespraktikums, wie immens die Schäden durch Hitze und Trockenheit schon heute sind. Gesunde Bestände stehen immer wie eine Einheit zusammen. Sobald ein oder mehrere Bäume zum Beispiel aufgrund der Trockenheit sterben, wirkt das wie eine Wunde beim Menschen, die nicht versorgt wird. Die Sonne kann plötzlich ungehindert auf vorher beschattete Baumstämme scheinen. Sonnenbrände wie beim Menschen sind die Folge. Wie die Steine beim Domino fallen danach Baum um Baum.
Dirk Bening und seine Leute achten auf die beschattenden Bäume oder Sträucher. Beim Pflanzen ebenso wie bei der Verjüngung der Bestände. Bäume, die sich gegenseitig die Sonne wegnehmen oder deren Kronen ineinander wachsen, stehen unter genauer Beobachtung. Im Zweifel muss einer von beiden gefällt werden – um den anderen zu retten. „Es ist immer ein Kampf um Licht und Wasser“, erklärt Betriebsleiter Bening. Kleinere Bäume, die nicht um den Platz an der Sonne konkurrieren können, leisten trotzdem Erstaunliches. Als „Beschatter“ helfen sie ihren großen Brüdern beim Überleben. Ein guter Förster hat diese Zusammenhänge im Blick und greift – wo nötig – gestaltend ein.
Fazit: Wie helfen wir dem Wald?
Wer den Wald retten möchte, muss ihn verstehen lernen. Nicht nur von einem Standpunkt aus, sondern von ganz vielen. Über das Thema Waldbrandgefahr haben wir hier noch gar nicht gesprochen. Dabei wird beim Thema Unterholz sehr schön deutlich, wie schwierig ein Interessenausgleich werden kann, wenn es um die Rettung des Waldes geht. Während die Feuerwehren im trockenen Totholz (zurecht) eine riesige Gefahr bei Bränden sehen, glauben Naturschützer:innen (zurecht) an die positive Wirkung für Tiere und Pflanzen.
Es ist ein Interessen-Vieleck, das wir betrachten müssen. Naturschützer:innen, Waldnutzer:innen, Waldbesitzer:innen, Feuerwehren und nicht zuletzt die Pflanzen und Tiere, die im Wald leben. Sie alle haben berechtigte Interessen. Die wenigsten von ihnen schauen selbstsüchtig nur auf die eigene Position. Das wiederum eröffnet die Chance, jetzt sofort die Positionen miteinander auszutarieren. Wie auf einer alten Waage: Was passiert, wenn ich hier noch ein Gramm mehr dazu gebe? Ist das Gleichgewicht dann noch zu erhalten?
Das braucht Vertrauen ineinander. Bei meinem Waldgipfel Mitte März habe ich gesehen, dass dieses Vertrauen zwischen den Akteuren da ist. Ein zartes Pflänzchen noch, aber es kann wachsen, wenn wir die Position des jeweils anderen kennen und begreifen. Meine Woche des Waldes hat mir persönlich einen tiefen Einblick in die Strukturen des Waldes beschert. Jetzt will ich dort anpacken, wo ich kann, um beim Austarieren zu helfen und damit unseren Wald zu retten.
* Den Waldgipfel im Nachhinein schauen? Kein Problem!
Der oben erwähnte virtuelle Waldgipfel samt der Experten-Impulse und der abschließenden Diskussion wurde aufgezeichnet und ist nun hier sowie via YouTube abrufbar.