Als der Wecker klingelt, meine ich, gerade erst eingeschlafen zu sein. 5.15 Uhr. Das müsste reichen, um rechtzeitig an meinem heutigen Arbeitsplatz in Alpen zu sein. Zum „Aufrüsten“, wie man bei der Bauunternehmung Müller sagt, finden sich die rund 20 Mitarbeiter um 20 nach sechs auf dem Gelände ein und auch ich werde in den kommenden Stunden Teil der Bauarbeiter-Familie sein.Als ich das geschäftige Treiben so sehe, muss ich tatsächlich als erstes an die Kindersendung meiner Söhne denken. An Bob den Baumeister und seine Truppe von Baumaschinen. Hier sitzt jeder Handgriff und selbst zu früher Stunde weiß auch schon jeder, was er zu tun hat. Firmenchef Michael Müller und sein Vorarbeiter teilen ruhig die Trupps auf. Werkstattbusse werden leergeräumt und wieder neu mit Werkzeugen sowie Materialien beladen.
Nachwuchs dringend gesucht
Ich stehe gemeinsam mit Malte an der Schüppe im Sandbunker. Zwei große Speiskübel müssen befüllt werden. Wie wir so nebeneinander arbeiten, erzählt er, dass er als Auszubildender im letzten Lehrjahr steckt und in einigen Wochen seine Prüfungen ablegt. Ein Exot, wie ich später erfahre, denn zwar gibt es zig offene Ausbildungsstellen im Baugewerbe – zuletzt freute man sich aber schon, wenn man zehn junge Leute im gesamten Kreis Wesel fand, die sich zum Beispiel zum Maurer ausbilden lassen wollen.
Ohne die würde auf meiner heutigen Baustelle nichts gehen, denn in Kamp-Lintfort bauen wir an einer Fünffach-Garage weiter. Das ist der Auftrag, den wir mitnehmen. Keine dieser Beton-Fertig-Quader, sondern eine auf solidem Fundament gemauerte Version. Mein Trupp hat schon ganze Arbeit geleitet. Was fehlt sind noch eine Zwischen- und die letzte Außenwand. „Das muss heute fertig werden“, sagt Marcel. Er sitzt am Steuer und kommt trotz der frühen Uhrzeit schnell zu einem Thema, das ihm wichtig ist und das er loswerden möchte – jetzt, da endlich mal ein Politiker zuhört.
„Wie soll das eigentlich gehen, dass wir bis 67 Jahre malochen?“, möchte er mit Blick auf die Straße vor sich von mir wissen. Eine rhetorische Frage, denn wir beide wissen: In körperlich anstrengenden Berufen halten die wenigsten über 40 Jahre durch, um anschließend von einer einigermaßen vernünftigen Rente leben zu können.
Rettung ins Rentenalter
Die Praxis sieht ganz anders aus, wie mir Marcel und sein älterer Kollege Frank den Tag über erzählen. Wenn sie nicht sogar schon am eigenen Leib erfahren haben, wie sich Bandscheibenvorfälle und verschlissene Knochen anfühlen, kennen sie Geschichten von Kollegen, die mit Ach-und-Krach und Ende 50 versuchen, sich irgendwie ins Rentenalter zu retten.
Wer nach OP und Rehas so hart ist, wieder zurück auf den Bau zu gehen, dem wird vom ärztlichen Personal abgeraten. „Aber was soll ich denn anderes machen als den Beruf, den ich seit 33 Jahren mache“, fragt Frank mich in der Frühstückspause bei einer Zigarette. Wieder so eine rhetorische Frage, auf die alle hier im Bauwagen die Antwort wissen. Wenige Ausnahmen gibt es, die in jüngeren Jahren noch den Absprung schaffen. Marcels Bruder war so eine. Nach der einschlägigen Krankheitsgeschichte schaffte er Umschulung und – viel schwieriger – den anschließenden beruflichen Neustart als Verkäufer. Denn von einem Dutzend Umschüler schaffen es vielleicht gerade einmal eine Handvoll mit ihrem neuen Können Geld zu verdienen.
So ein Stein wiegt ordentlich: der letzte wesentlich mehr als der erste am Morgen.
Draußen weht jetzt der Wind. Die Regenwolken machen aber einen Bogen um uns. So lässt es sich mauern. Zuunterst kommt ein Streifen Teerpappe. Darauf setzen wir die erste Reihe Steine. Eine weitere Folie verhindert, dass bei einem ungewollten Wasserschaden Feuchtigkeit die Wand hochziehen kann. Einfacher als gedacht: Mittlerweile haben die schweren weißen Klötze an der Seite Führungen, die ineinander greifen, wenn man sie von oben platziert. Das klingt wiederum nur so leicht, denn so ein Stein wiegt ganz ordentlich. Der letzte wesentlich mehr als der erste am Morgen. Noch so ein Problem für die Arbeiter: Trotz aller Hilfsmittel und Ratschläge für die rückenschonende Arbeit bleibt es harte Maloche. Kein Kran hebt vorsichtig die schon mal bis zu 25 Kilogramm schweren Steine auf einer Baustelle auf ihren Platz. Das tun die Menschen, die hier arbeiten.
Private Unfallversicherung? Arbeitsunfähigkeitsversicherung? Gibt es. Aber die monatlichen Versicherungsprämien kann kaum jemand bezahlen. „Als junger Mann hatte ich eine Unfallversicherung. Die kostete damals 20 Mark. Vor Jahren habe ich dann gekündigt, weil sie da schon 70 Euro kostete“, erzählt Marcel mit der Maurerkelle in der rechten und einem Stein in der linken Hand. Das war keine Option. Auch für die private Rentenvorsorge reicht es selten. Denn das, was am Monatsende übrig bleibt, brauchen die meisten zum Leben. Viele haben Familie und Kinder oder wollen sich eben auch mal was leisten. Keinen Luxus, sondern den Abend mit Freunden, die Kegeltour nach Mallorca oder einen neuen Gebrauchten.
Etwas Dauerhaftes schaffen
Die Sonne, die gegen Mittag durch die Wolken scheint, vertreibt meine Nachdenklichkeit. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Menschen, mit denen ich heute arbeiten darf, keine Trübsal blasen, sondern jede Menge Spaß an dem haben, was sie tun. Die erste Wand steht mittlerweile und mit der letzten Außenwand nähern wir uns dem Tagesziel. Diesmal bekommt jede zweite Steinreihe, die jetzt wesentlich dicker gemauert wird, einen kleinen Metallhaken. Der schaut nach außen und wird später für die Befestigung des Klinkers benötigt.
„Stein auf Stein“, summe ich und stelle fest, dass es etwas sehr Befriedigendes hat, mit den eigenen Händen etwas Dauerhaftes zu schaffen. Etwas, das ich noch meinen Kindern zeigen kann: „Guckt mal, da hat der Papa eine Garage gebaut.“ Auch wenn es für meine Kollegen etwas sehr Normales geworden ist, müssen sie doch zugeben, schon mal an Gebäuden vorbei zu kommen und zu denken, dass das auch ihr Haus ist. In gewisser Weise jedenfalls.
Um eins sitzen wir dann beim Mittagessen. In meiner Fantasie hatte ich tags zuvor an Pommesbude und Currywurst-Pommes-Schranke geglaubt. Der Trupp sieht mich ungläubig an und lacht. „Ne, wir haben uns alle was mitgebracht“, grinst Marcel und lässt die Tupperdose klacken. Nach der Dubbel um zehn bleibt mir immerhin eine Banane zu Mittag. Die Stimmung in der Baubude kurz vor dem Erreichen des Tagesziels übertönt mein Magenknurren. Alle starren auf ihre Handys, worüber Frank den Kopf schütteln muss: „Früher haben wir uns noch unterhalten“, schaut er nur den Azubi strafend an. Malte muss lächeln. Wahrscheinlich kennt er den Vorwurf und er ist Teil eines mittäglichen Rituals. Jedenfalls kommen die beiden über eine App für Hobbyfußballer, die der Junge gerade ausgiebig testet, auf Profifußball und Achillessehnenrisse zu sprechen.
Finale: Die erste Hälfte einer Wand lässt sich noch ganz gut vom Boden aus mauern. Für die zweite braucht es Böcke und Bohlen, die als kleines Gerüst dienen. Gemeinsam setzen wir die Hilfskonstruktion von einer auf die andere Seite und hieven Speiskübel und Steine nach oben. Dort, wo die vom Architekten geplanten Türen eingesetzt werden, lassen die Maurer Löcher. Schablonen aus zusammen genagelten Latten geben das genaue Maß vor. Schwere Betonstürze stützen nach oben hin die Durchlässe ab. Dafür braucht es noch einmal Muskelkraft. Und dann ist das Tagesziel erreicht.
Gegen 16 Uhr kann der kleine Bautrupp abrücken. Mit Menschen und Maschinen geht es zurück zum Betrieb. Um morgen in aller Frühe wieder zu malochen.
Dies ist eine Reportage über meinen Arbeitstag auf einer Baustelle. Der Text ist deshalb subjektiv, beschreibt ausschließlich meine Beobachtungen und verzichtet – getreu den Regeln des Genres– auf Bewertungen und Kommentare. Mindestens zwei Mal im Jahr versuche ich, in meinem Wahlkreis einen Tag lang zu malochen. Das habe ich unter anderem schon beim Spargelstechen, in der Großbäckerei Büsch, bei Amazon und McDonald’s getan sowie bei der Polizei und in einem Seniorenheim.
Tolle Aktion René. Weiter so!