„Beginn um acht Uhr. Der Tag wird auch so noch lang genug werden“, riet mir Basti am Telefon. „Wenn schon, denn schon“, hatte ich zuvor geprahlt und eine „volle Schicht“ Spargelstechen geordert. Doch Basti, der beim Spargelhof Schippers im niederrheinischen Alpen für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, sollte am Ende Recht behalten.
Wie die Mittagsschicht komme ich mir vor, als ich um acht Uhr morgens vor dem Spargelhof parke. Im Vorbeifahren habe ich schon die Gruppe bemerkt, die sich durch die Reihen kämpft. Ob ich ihnen eine Verstärkung sein werde, weiß ich noch nicht. Mein Abgeordnetenkollege Günter Garbrecht hat mich schon vor Monaten gewarnt, dass er selbst in seinem Politikerleben viele Tagespraktika absolviert habe. Das beim Spargelstechen indes sei das härteste gewesen: „So kaputt war ich in meinem ganzen Leben noch nicht.“
Ausgerüstet mit einer Art eckigem Korb aus Aluminium, der zur Seite hin offen ist, sowie einem langen Spargelstecher und der Kelle zum Wiederverputzen starte ich aufs Feld. Hier erwarten mich knapp 40 Erntehelfer – Männer und Frauen. Sie lächeln wissend aber auch ein bisschen ungläubig ob des Politikers, der sich tatsächlich einen Tag lang als Spargelstecher verdingen will. Und ich komme mir komisch vor. Ein bisschen wie ein Tourist, der das nachspielt, womit andere ihren Lebensunterhalt verdienen.
Zehn Wochen Spargelstechen für einen rumänischen Jahresverdienst
Das ist derzeit übrigens der übliche Mindestlohn von acht Euro. Jährlich steigt der Betrag und wird demnächst etwas über neun Euro die Stunde betragen in der Landwirtschaft. Die Helfer, die aus Polen, Rumänien und Bulgarien kommen, können mit dem während der Saison verdienten Geld in ihrer Heimat den Rest des Jahres sehr gut leben. Zum Vergleich: In Rumänien verdient ein Arbeitnehmer zwischen 250 und 350 Euro im Monat. Zehn Wochen Arbeit auf dem Spargelfeld bedeuten am Ende rund 3.000 bis 3.500 Euro. Für viele ein Jahresverdienst. Darum gibt es polnische Mitarbeiter, die sogar ihren Jahresurlaub auf dem Spargelfeld verbringen, um neben ihrer Hauptbeschäftigung Geld hinzu zu verdienen. Ob hier oder auf dem Erdbeerfeld oder beim Kirschpflücken: Deutsche Arbeitnehmer sucht man vergeblich. Für viele ist die stundenlange Arbeit schlicht zu hart – und der Verdienst andererseits zu unattraktiv.
Von der Anstrengung kann ich mir jetzt ein Bild machen. Pedro, wie sich der Vorarbeiter vorstellt, macht es mir vor. Wir ziehen die Folie von der zu einem kleinen Wall angehäuften Erde. Mit einem Ruck nach oben, damit die Spargelköpfe, die bereits über die Erde ragen, nicht abbrechen. Danach graben wir mit gespreiztem Zeige- und Mittelfinger rechts und links vom Spargel tiefer. Wir sollen sehen, wohin der Spargel wächst, um dann gezielt mit dem Messer zuzustechen. Das, was so aussieht wie ein langer Schuhlöffel und an der Spitze wie ein V scharf auseinander läuft, muss ich ganz vorsichtig parallel zum Spargel in der Erde versenken. Mit einem kurzen Ruck nach vorne zur Stange wird der Schnitt möglichst tief gesetzt.
Problem: Nicht immer treffe ich richtig. Das knirschende Geräusch, das ich dennoch höre, kommt dann von einer benachbarten Stange, die ich damit beschädige. Das darf nicht passieren und so übe ich mich in Geduld und Präzision. Bei Pedro sieht das viel leichter aus: Zwei mal mit gespreizten Fingern gegraben, das Messer ruck-zuck senkrecht in die Erde versenkt und während er den Schnitt vollführt, scheint ihm die Stange zwischen den Fingern seiner linken Hand fast schon entgegen zu springen.
So arbeitet sich die Gruppe Spargelkopf um Spargelkopf durch die Reihe, hebt vorne die Folie ab, um sie nach getaner Arbeit hinten wieder über das kleine Landschaftsbauwerk zu ziehen. Weil es in den kommenden Tagen wärmer werden soll, drehen wir die Folie so, dass nun die weiße und nicht mehr die schwarze Seite oben liegt. Damit kann Achim, der für den landwirtschaftlichen Teil des Spargelhofs zuständig ist, das Wachstum zumindest ein wenig regulieren. Denn die schwarze Seite erhitzt sich sehr viel mehr, so dass der Spargel stärker wächst. Bei intensiver Sonneneinwirkung kann das Gemüse gut und gerne einen halben Zentimeter in der Stunde wachsen. Weiß hingegen bremst die Aufwärtsbewegung. Ganz aufhalten lässt sie sich dagegen nicht. Darum hadert Achim mit der Sechs-Tage-Woche, denn in Spitzenzeiten müsste eigentlich täglich Spargel gestochen werden, um dem ungebremsten Wachstum Herr zu werden.
Heute startet der Tag jedoch regnerisch. Leise höre ich die Tropfen auf die Folie prasseln, während ich versuche, ein Gefühl für das Stechen zu bekommen. Graben, zustechen, ziehen, wiederverschließen. Folie ab, Folie auf. Spargel in den Korb – mit dem Kopf zuerst, damit außen die Enden schon mal grob auf eine Länge abgeschnitten werden können. So verbringe ich den Vormittag. Reihe um Reihe. Während ich mit mir selbst und mit meinen beginnenden Rückenschmerzen beschäftigt bin, scheint der Rest der Truppe leichtfüßig durchs Gelände zu springen. Zum Ende meiner Reihen kommt mir oftmals einer meiner neuen Kollegen entgegen und sticht, was es noch zu stechen gibt. Selbst die Frauen, die hier ihren Mann stehen, kommen sehr viel schneller voran als ich. Das nagt an meinem Ehrgeiz, doch mit der Zeit werde ich nicht schneller, sondern eher noch langsamer. Jede Pause tut jetzt gut, auch wenn ich versuche, mich nicht zu setzen. „Nie den Druck von den Füßen nehmen“, erinnere ich mich an einen guten Ratschlag beim Wandern.
Um 13 Uhr geht es schließlich zur einstündigen Mittagspause auf den Hof. Alle Erntehelfer haben Kost und Logis frei. Wann sollten die Frauen und Männer auch los, um einzukaufen und zu kochen? Mit Achim und Basti esse ich so wie die anderen auch Mettwurst, Kartoffeln und lecker angemachte Kohlrabi. Spargel, den ich hier erwartet hätte, gibt es nicht. „Den mögen sie hier nicht“, schütteln die beiden Männer lächelnd ihre Köpfe. Nur am letzten Abend der Saison gehen alle gemeinsam zum Buffet, das hier täglich angeboten wird. Mit Erfolg: Heute Morgen waren es fünf Busse, die aus ganz NRW hierher gekommen sind. Zur Hofführung, zum Spargelstechen und schließlich zum All-you-can-eat-Spargelbuffet. Abends gibt’s ebenfalls die große Auswahl oder eben A-la-Carte. So viele Gäste kommen während der Saison, dass für die nächsten 14 Tage schon keine Reservierungen mehr angenommen werden können. Der Spargel von Schippers genießt einen erstklassigen Ruf – nicht nur vor Ort und im Hofladen, sondern ebenso an zahlreichen Verkaufsständen, auf Märkten und sogar in einem Edeka, den die Alpener beliefern.
Dafür muss das geerntete Gemüse aber noch weiterverarbeitet werden. Die kommenden Stunden verbringe ich deshalb an der Sortieranlage. Hier kommt der Spargel aus großen Wannen, die mit Wasser und Eisstücken aufgefüllt im Kühlraum gewartet haben, auf ein Fließband. Mit der Hand holen sie die Stangen aus der Wanne, legen sie nebeneinander und mir fällt die Aufgabe zu, sie in Reih’ und Glied zu ordnen. Möglichst parallel. Köpfe von mir weg, die kurzen Stangen mit der Schnittkante tiefer. Der Mann neben mir übernimmt sie dann auf ein neues Band, auf dem Pinne dafür sorgen, dass der Spargel nicht mehr verrutschen kann. So fährt er dann in den verschlossenen Teil der Maschine, in dem nun folgendes passiert: Erst werden die Enden noch einmal sauber abgeschnitten. Bis hierhin hat sich die Menge Spargel vom Feld bereits um 30 Prozent verringert. Danach stellt ein Computer mithilfe einer Kamera fest, welche Güte jede einzelne Stange hat, und sortiert sie danach. Gewaschen und geputzt landen die Güteklassen 1 und 2, a oder b am Ende in Plastikkörben, die abgewogen und gestapelt werden. Auf Nachfrage wird der Spargel in einer weiteren Maschine geschält. Weil er hier wiederum 30 Prozent seines Gewichts verliert, kommt das Gemüse im Verkauf natürlich teurer als die ungeschälte Variante.
Fließbandarbeit: Pause oder Stopp gibt es nicht.
Einmal in Gang gesetzt, läuft das Fließband unaufhaltsam. Pause oder Stopp gibt es nicht, bevor nicht die große Wanne leer ist. 20 bis 30 Minuten dauert das im Schnitt. Bis zu 21.000 Stangen Spargel kann die Maschine auf diese Weise pro Stunde sortieren. Sobald alles Gemüse seinen Weg in den Apparat gefunden hat, wird das restliche Wasser aus der Wanne gelassen und das Behältnis ausgespült. Leere Wanne weg, volle Wanne ans Band. Jede Stunde, also alle zwei Wannen, gibt es eine kurze Pause.
Je länger ich beim Geraderücken auf die Stangen starre, umso mehr verschwimmt, was ich sehe. Zwischendurch klebt immer mal wieder etwas mehr Erde am Spargel. Dann sieht er aus wie ein Birkenast und ich frage mich, warum ich Holzstücke sortiere. Die Arbeit macht müde. Durch die dünnen Plastikhandschuhe kriecht die feuchte Kälte der Spargelstangen in die Hände. In die Monotonie hinein versuche ich, an etwas anderes zu denken. Doch stört das die Konzentration, die ich trotz aller Gleichförmigkeit der Arbeit dringend brauche, um nicht meinen Nebenmann in Bedrängnis zu bringen. Denn wenn ich schludere, kommt er ins Schleudern. Zwar sieht er großzügig über manche meiner Unzulänglichkeiten hinweg, aber einen Minderleister kann hier niemand gebrauchen.
Alle sind zum Arbeiten nach Deutschland gekommen
Nach acht Stunden auf dem Spargelhof signalisiere ich schließlich, dass es für mich genug ist. Mittlerweile stehe ich wie ein halb geschlossenes Klappmesser vor dem Fließband. Die kurzen Pausen nutze ich, um wieder Haltung zu gewinnen. Ich stelle mich dann mit geradem Rücken und dem Gesicht in der Sonne in den Hof und höre zu, wie meine Kollegen in ihrer mir unverständlichen Sprache miteinander sprechen und lachen. Sie haben noch lange keinen Feierabend, denn wenn die letzte Wanne geleert ist, geht es für die Gruppe wieder raus aufs Feld, wo die andere Hälfte schon seit zwei Stunden Spargel sticht.
Auch wenn es anstrengend ist, beschwert sich darüber niemand, denn sie alle sind zum Arbeiten nach Deutschland gekommen. Zehn Wochen Maloche sichern mancher Familie in ihrem Heimatland ein Jahr ihrer Existenz. Ich verabschiede mich und als Basti den fragenden Gesichtern erklärt, dass ich nun schlafen gehe, müssen alle lachen über diesen komischen Politiker.
Dies ist eine Reportage über meinen Arbeitstag auf einem Spargelhof in Alpen. Der Text ist deshalb subjektiv, beschreibt ausschließlich meine Beobachtungen und verzichtet – getreu den Regeln des Genres– auf Bewertungen und Kommentare. Mindestens zwei Mal im Jahr versuche ich, in meinem Wahlkreis einen Tag lang zu malochen. Das habe ich unter anderem schon in der Großbäckerei Büsch, bei Amazon und McDonald’s getan sowie bei der Polizei und in einem Seniorenheim.