Auf Streife mit der Polizei: Eine Nacht lang durfte ich die Beamten der Xantener Wache bei ihrer Arbeit begleiten. Zwischen Vollgas und müden Momenten hatte ich viel Zeit, mit den Beamten über ihre Arbeit und die Pläne der Kreispolizei zu sprechen, in der örtlichen Wache nachts auf einen dritten Polizisten zu verzichten.
Die Nachtschicht beginnt um 21.15 Uhr und zunächst mal gemächlich. Ein Ehepaar aus Sonsbeck hat den Einbruch in einen Rohbau gemeldet. Der hat sich scheinbar schon in der Nacht zuvor zugetragen. Darum ist die Zeit recht ungewöhnlich, zu der wir für eine Anzeigenaufnahme auf die provisorische Auffahrt des ländlichen Anwesens rollen. Das verklinkerte Gebäude ist von innen noch Baustelle – von hier wurden einige wertvolle Werkzeuge gestohlen. Eines der Fenster weist Hebelspuren auf. Wir messen und fotografieren, ein Polizist schreibt auf, was die Eigentümer beobachtet haben und jetzt vermissen. Wir sind nach einer knappen halben Stunde schon bei der Verabschiedung, als uns ein Funkspruch zur Rückkehr nach Xanten auffordert. Dort hat jemand den Außenschaukasten eines Optikerladens aufgebrochen. Ein Nachbar hat das beobachtet, den Dieb lautstark vertrieben und danach die Polizei gerufen.
Wir geben trotzdem Gas – und ich erlebe zum ersten Mal an diesem Abend, wie es ist, wenn man dem silberblauen Polizei-Boliden die Sporen gibt. Ich werde in meinen Sitz auf der Rückbank gepresst. Das Display des nagelneuen BMW zeigt an: „Sportlicher Modus“. Mit Tempo 160 und Blaulicht rasen wir in Rekordzeit vom Sonsbecker Gemeindeteil Labbeck in die Domstadt. Im Umfeld des Optikers lassen wir nun unsere Blicke schweifen. Einen dunkel gekleideten Mann mit Rucksack suchen wir und wundern uns darüber, dass trotz noch immer belebter Innenstadt ein Dieb derart dreist auf Beutejagd geht. Andererseits: Von der Haupteinkaufsstraße bis in die wenig beleuchteten Wälle der Stadt ist es ein Katzensprung. Hier verliert sich jede Spur sofort im Dunkeln.
Die so genannte Umkreissuche brechen wir nach 20 Minuten erfolglos ab. Einen Kollegen unterstützen wir noch bei der Spurensicherung. Danach geht es zurück zur Wache. Ich erfahre, dass der vierte Mann heute nicht Standard ist und vor allem nicht als vollwertige Streife alleine losgeschickt werden kann. Die Eigensicherung geht vor und bedeutet, dass es nicht nur nächtens immer zu zweit auf Tour geht. Alles andere wäre viel zu gefährlich.
Zurück in der Wache treffen wir auf den AP. Die Welt der Polizei steckt voller Abkürzungen und AP meint nichts anderes als Arbeitsplatz. Genauer: der in der örtlichen Wache. Noch sitzt hier rund um die Uhr jemand, der für Bürger ansprechbar ist, die in die Polizeistation kommen. Er kann Anzeigen aufnehmen, Wege erklären, Schutz bieten. Das alles passiert jedoch gerade nachts recht selten, weshalb die Kreispolizeibehörde zur Zeit überlegt, diesen AP lieber „auf die Straße zu bringen“. Will sagen: Verzichtet man auch in Voerde auf eine Besetzung des „Empfangs“ zwischen 22 und sechs Uhr morgens, ergeben diese zwei Stellen eine Streife. Objektiv mehr Sicherheit, das subjektive Sicherheitsempfinden der Xantener indes würde unter einer solchen Entscheidung leiden. Und was sagen die Kollegen vor Ort?
Dass ihre Wache nachts nicht gerade überlaufen ist, räumen die Beamten durchaus ein. Dennoch leiste der Kollege in der Zentrale wertvolle Unterstützung für die Streifen im Einsatzgebiet zwischen Alpen, Sonsbeck und Xanten. Außerdem, und dieses Argument höre ich immer wieder von anderer Seite, sei der AP oft von eingeschränkt verwendungsfähigen Beamten besetzt, die im Streifendienst leider nicht mehr eingesetzt werden können. So bliebe das rechnerische Plus an Sicherheit letztlich eine Illusion. Über die Machbarkeitsstudie, die die Kreispolizeibehörde zum Thema in Auftrag gegeben hat, können wir nicht mehr weiter sprechen, denn wir müssen wieder raus. Raus im Auftrag des NRW-Innenministeriums. Denn das hat alle Polizeibehörden im Land angewiesen, größere Flüchtlingsunterkünfte regelmäßig anzufahren. Den Bewohnern soll ein Sicherheitsgefühl vermittelt werden, Rechtsradikale sollen von Anschlägen und Beschädigungen abgeschreckt werden. So klappern wir im Verlaufe der Nacht unsere vorgegebenen Stationen ab, wie es auch die Kollegen jeder anderen Schicht tun. Dabei melden wir uns über Funk bei der Leitstelle in Wesel an, die nur kurz WESpe gerufen wird. Ähnlich lautmalerisch geht es auch im Kreis Kleve zu: Dort firmiert die Leitstelle unter „KLEtte“. Ich lerne, dass die Funksprüche aus der Kreisstadt immer über die rechten Lautsprecher kommen, der „kleine Funkverkehr“ mit der Xantener Wache dröhnt von links. Dort sitze ich übrigens auch, weil rechts im Fonds traditionell der Platz für böse Buben ist. Und weil es bei denen auch schon mal zu kleinen Malheuren kommen kann, haben mich meine neuen Kollegen zu Beginn der Schicht dankenswerterweise auf die unbelastete Seite der Rückbank gebeten. Neben mir stehen zwei dick gepackte Taschen mit allen möglichen dienstlichen Dingen, die Jacken und Mützen der beiden Polizisten.
Gott sei Dank bleibt alles ruhig und wir verbinden unsere „Aufklärungsfahrt“ mit einer Runde durch die Wohngebiete. In letzter Zeit haben es organisierte Banden wieder vermehrt auf Navigationsgeräte hochpreisiger Autos abgesehen. In Alpen, Sonsbeck und Xanten stehen davon mehr als genug herum, wie ich vom Rücksitz aus erkennen kann.
„Wenn wir hier eine zusätzliche Streife in Zivil hätten, die sich unauffälliger als wir bewegen kann, könnte das zur Aufdeckung von Straftaten führen“, sinnieren meine Begleiter, was man durch die Mobilisierung des AP erreichen könnte. Je weiter sich die Zeiger meiner Uhr auf die frühen Morgenstunden zubewegt, umso schwerer werden meine Augenlider. Es fällt mir nicht leicht, einen scharfen Blick in die Dunkelheit zu richten. Bewegungsmelder, an denen wir vorbeirollen, reißen immer wieder Scheinwerfer aus ihrem Schlaf. Nur wenige Autos sind jetzt noch unterwegs und damit per se verdächtig. Wir achten auf auswärtige Kennzeichen und kontrollieren durch die Halterabfrage des Kennzeichens, ob es beispielsweise offenkundige Diskrepanzen gibt zwischen gemeldetem Fahrzeugmodell und dem, dass da gerade tatsächlich vor uns herfährt. Den Fahrer eines Volvo V60, den wir gegen zwei Uhr anhalten, entpuppt sich als Bote, der bis zum nächsten Morgen ein Ersatzteil vom Niederrhein zurück in seine süddeutsche Heimat bringen soll.
Ob solche Fahrzeugkontrollen tatsächlich etwas bringen, möchte ich wissen. „Mehr als man meint“, erklärt der Kollege auf dem Beifahrersitz. Nicht selten finde man auf diese Weise Menschen, die per Haftbefehl gesucht werden. „Wirklich?“, frage ich erstaunt. Lächelnd zurück: „Natürlich keine Schwerverbrecher, sondern solche, die Strafen nicht zahlen wollten und ersatzweise in Beugehaft sollen. Aber welche mit mehrjährigen Verurteilungen hatten wir auch schon dabei“, erinnert sich mein Vordermann. Und insgeheim hoffen wir zu dritt, heute noch auf eine Bande zu stoßen, die in Rekordzeit Tankstellen am Niederrhein aufbricht und alle Tabakwaren mitgehen lässt. Rund 10.000 Euro Beute kann man auf diese Weise in wenigen Minuten machen. Erst am Tag zuvor hatten die Beamten, die jetzt natürlich ein besonderes Auge auf Tankstellen haben, die Diebesbande nur knapp verpasst. Ich merke auch bei mir ein gewisses Jagdfieber. Wo werden sie wohl beim nächsten Mal zuschlagen? Und sind wir dann in der Nähe?
Aus dem Lautsprecher rechts hinten dringt die Stimme der Leitstelle in Wesel. Einbruchmeldung in Rheinberg. Die Adresse lässt meine Begleiter aufhorchen. „Da ist doch auch eine Tankstelle“, meint der eine, während sein Kollege am Steuer bereits das Blaulicht eingeschaltet und das Gaspedal durchgedrückt hat. Wir rasen die leere B57 entlang. Meine Müdigkeit ist wie weggeflogen. Wo könnten die Einbrecher ihren Fluchtwagen geparkt haben? Wie weit können sie jetzt schon gekommen sein? Ich wette, dass die beiden erfahrenen Beamten die gleichen Gedanken haben, wage aber nicht, sie in diesem hochkonzentrierten Moment anzusprechen. Wir achten jetzt genau auf die wenigen Fahrzeuge, die uns entgegen kommen. Wie viele Menschen sitzen drin? Verhält sich der Fahrer verdächtig? Leider finden weder wir noch die in erster Linie zuständigen Kollegen aus der Wache in Kamp-Lintfort die Bande, die dieses Mal zwar einiges an zerstörerischer Energie aufgewandt hat, die Tankstelle aber ohne Beute wieder verlassen musste.
Kurzer Austausch mit den angerückten Kollegen bei Temperaturen knapp über Null Grad. Ist es das nasskalte Wetter, dass mich zittern lässt, oder doch auch eine gehörige Portion Müdigkeit um drei Uhr morgens? „Den toten Punkt“, nennen es die bei der Nachtschicht. Schon gut, wenn man in diesen Stunden etwas zu tun hat, gefordert ist. So wie jetzt.
Wir nehmen wieder nicht den direkten Weg zurück zur Wache, sondern schauen bei den Tankstellen im Umkreis vorbei. Vielleicht versucht es die Bande ja anderswo. Dieses Jagdfieber, das mich unwillkürlich packt, lässt die Zeit viel schneller vergehen und reduziert die Müdigkeit auf ein erträgliches Maß. Die Arbeit als Streifenpolizist hat etwas vom täglichen Öffnen einer Wundertüte – und du weißt nie, was heute wieder drin steckt. Zwar gibt es Ziele, wie die Ergreifung der Tankstellen-Bande, aber mit dem eigenen Tagwerk kann man sich nur bedingt einen Erfolg aufbauen. Vieles hat mit Glück zu tun, auch wenn es hier immer das Glück des Tüchtigen ist. Das macht den Job so spannend und unberechenbar und so verdammt anstrengend: Eine Stunde vor Schichtende, als scheinbar nur ich glaube, dass nun eigentlich nicht mehr viel geschehen kann, bekommen wir die Meldung eines Suizidversuchs. Ein Mann habe versucht, sich in einer Campingplatzanlage das Leben zu nehmen. Blaulicht. Diesmal halb-sportliche Fahrweise, denn die eigentliche Hauptrolle spielen diesmal der Notarzt und sein Team. Weil sich der Suizident jedoch in den Kopf gesetzt hat, noch mit dem Auto wegzufahren und das nach mindestens einer getrunkenen Flasche Mariacron keine gute Idee mehr ist, muss die Nachtschicht zu guter Letzt auch noch eine Alkoholblutprobe nehmen.
Dazu muss jedoch eine Zustimmung vorliegen, die der sichtlich aufgelöste und angetrunkene Mann nicht mehr geben kann. Von der Wache aus nehmen wir deshalb gegen sechs Uhr Kontakt zur diensthabenden Staatsanwältin auf, die schließlich die Einwilligung erteilt. „Naja, verschiebt sich der Feierabend eben ein paar Stündchen“, flachsen die beiden, die heute Abend schon wieder hinter dem Steuer sitzen werden und jede Stunde Schlaf eigentlich gut gebrauchen könnten. Zwei Nachtschicht, zwei Frühschicht, zwei Spätschicht, zwei Tage frei. Nur ein Wochenende im Monat gehört den Polizisten im Wach- und Wechseldienst. Nicht eben attraktive Arbeitsbedingungen und dennoch haben die Beamten hier Spaß an dem, was sie tun.
Dafür gebührt Ihnen meine tiefe Anerkennung!
„An die Wechsel von Früh-, Spät- und Nachtschicht gewöhnen Sie sich nie“, hatte mir der Dienstgruppenleiter zuvor am Telefon erklärt. Als ich – sehr viel früher als die Kollegen, die noch die Blutprobe nehmen müssen – gegen sieben Uhr zu Hause ankomme, bin ich hellwach und völlig aufgedreht. Auf den Morgenkaffee verzichte ich verständlicherweise und kann dennoch erst sehr viel später einschlafen. Und träume auch davon, die Tankstellen-Bande zu fassen…
Dies ist eine Reportage über meine Nachtschicht bei der Polizei in Xanten. Der Text ist deshalb subjektiv, beschreibt ausschließlich meine Beobachtungen und verzichtet – getreu den Regeln des Genres– auf Bewertungen und Kommentare. Mindestens zwei Mal im Jahr versuche ich, in meinem Wahlkreis einen Tag lang zu malochen. Das habe ich unter anderem schon in der Großbäckerei Büsch, bei Amazon und McDonald’s getan sowie in einem Seniorenheim.