Ich könnte mir viele Gründe und Argumente für die Stichtagsregelung bei der Einschulung von Kindern ausdenken. Mache ich aber nicht. Denn ich persönlich finde die Stichtagsregelung in NRW nur eines: unfair.
Schulpflichtig = schulreif ?
Das Schulgesetz in NRW sagt: Alle Kinder, die bis zum 30. September eines Jahres sechs Jahre alt werden, sind zum 1. August des gleichen Jahres schulpflichtig. Alle Kinder, die demnach später – also ab dem 1. Oktober – sechs werden, müssen also erst im nächsten Jahr zur Schule gehen. Die Konsequenz ist, dass zum Teil sogar noch fünfjährige oder gerade erst sechsjährige Kinder in die Schule gehen müssen. Die Betonung liegt auf müssen. Denn das aktuelle Schulgesetz besagt, dass schulpflichtige Kinder nur aus erheblichen gesundheitlichen Gründen für ein Jahr zurückgestellt werden dürfen und erst im nächsten Jahr zur Schule gehen müssen. Diese Entscheidung treffen aber nicht die Eltern. Die Lehrer entscheiden auf der Basis eines ärztlichen Gutachtens, ob das Kind schulreif ist. Denn schulpflichtig bedeutet nicht zwangsläufig schulreif. Inzwischen werden die Eltern zwecks Findung einer Entscheidung angehört. Jedoch haben sie nach wie vor kaum Mitspracherecht.
Vorher war’s einfach besser…
Bis 2008 war das anders. Bis dahin wurden Kinder eingeschult, die zum 30. Juni schulpflichtig wurden. Auf diese Weise schloss man aus, dass es fünfjährige Grundschüler gibt. Denn jedes Kind war bei Schuleintritt zumindest einen ganzen Monat lang sechs Jahre alt. Ab 2008 wurde dann der Stichtag schrittweise nach hinten verlagert und auf den 30. September verschoben. Wie bei allen Themen, die mit Bildung zu tun haben, sind die Regelungen von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. NRW gehört zu den wenigen Bundesländern, die an dem späten Stichtag festhalten. Die meisten anderen nutzen weiterhin den Stichtag 30. Juni. Ich finde das unfair, denn Kinder entwickeln sich unterschiedlich und schulpflichtig bedeutet noch lange nicht schulreif.
Meine Eltern konnten damals noch wählen. Ich bin am 18. Juli 1976 geboren. Also mitten in den Sommerferien. Wir hatten die Wahl: ein Jahr länger Kindergarten oder schon in die Schule. Meine Mutter entschied sich Anfang der 80er Jahre für die erste Variante. Und dafür bin ich ihr bis heute dankbar. Sie konnte sehr gut einschätzen, ob Schule für mich schon etwas war, und hat sich dagegen entschieden. Soviel Elternwille muss einfach möglich sein. Auch heute.
Problem: Wir sind zu unflexibel!
Wie bei so vielen Dingen sind wir jedoch viel zu unflexibel. Denn wenn die Forschung über die Entwicklung von Kindern eines zeigt, dann das: Ihre Entwicklung verläuft vollkommen unterschiedlich. Das eine Kind kann mit zehn Monaten bereits laufen. Ein anderes erst später. Mit Intelligenz hat das aber nichts zu tun. Und so ist es auch mit dem Schulbesuch. Das eine Kind mag sich im Kindergarten vielleicht schon langweilen, ist bereit für das ABC und das Abenteuer Schule. Das andere ist noch viel verspielter und noch nicht bereit für den Schulbesuch. Entscheidend für die Schulreife ist der Entwicklungsstand des Kindes. Derzeit schauen wir einfach nur auf den Kalender. Sechs Jahre alt ist gleich schulreif. Wenn man mal darüber nachdenkt, ist es schon seltsam, dass wir Kinder einfach nur nach dem Alter als schulreif erklären. Das Prinzip Stechuhr.
Es geht um die beste Lösung für das Kind
Ein fixer Stichtag ist in dem Zusammenhang das falsche Konzept. Wir brauchen individuellere Regelungen. Damit meine ich nicht, dass es für jedes Kind andere Regelungen gibt. Das wäre kaum zu handhaben. Jedoch würde ein bisschen Spielraum helfen und den gäbe es schon mit einem früheren Stichtag – wie etwa dem 30. Juni. So entsteht ein Kann-Korridor für die Kinder, die zwischen Juli und September geboren wurden. Die Stichtagsregelung ist leider symptomatisch für einige Entwicklungen unserer Zeit. Vieles muss immer schneller gehen. Beispiel G8. Der Trend zur immer früheren Einschulung bringt aber doch nichts, wenn sich das Kind schlechter entwickelt, als wenn man ihm noch ein wenig Zeit gegeben hätte. Entscheidend ist das Kind. Das bedeutet auch, dass die Eltern in Zukunft ein gehöriges Wort mitreden sollten, wenn es um die Schulreife ihres Kindes geht. Denn sie kennen ihr Kind am besten. Eine stärker gleichberechtigtere Entscheidungsfindung zwischen den Eltern, den Lehrern und dem Arzt, würde dazu führen, individuellere und bessere Lösungen für die Kinder zu finden.
Eine Petition versucht übrigens gerade die unfaire Stichtagsregelung in NRW zu ändern. Ich bin optimistisch: Was in Niedersachsen und womöglich sogar Bayern funktioniert, kriegen wir hier doch auch hin, oder? Hier geht’s zur Unterschrift!
Sehr geehrter Herr Schneider,
auch ich finde Ihr Statement in jeglicher Hinsicht auf den Punkt gebracht und kann mich in allen Punkten absolut anschließen.
Mein Sohn ist als August-Kind ebenfalls von der zu frühen Einschulungsregel betroffen. Und auch aus meinem beruflichen Alltag kenne ich viele Kinder, denen ein zusätzliches Jahr im Kindergarten für ihre Entwicklung gut täte. Frustrationserlebnisse in der Grundschule wären somit in vielen Fällen vermeidbar. Gerade im sozial-emotionalen Bereich brauchen viele Kinder noch etwas mehr Zeit und hinzu kommt, dass Jungen ja auch in ihrer gesamten Entwicklung häufig etwas später dran sind, sodass der Entwicklungsstand zwischen einem noch fünfjährigen Jungen und einem fast siebenjährigen Mädchen immens ist.
Ich hoffe wirklich sehr, dass der Einschulungsstichtag in NRW auf den 30.06. verschoben!
Viele herzliche Grüße und vielen Dank für ihr Engagement!
Ihre Erfahrungen bestärken mich in meiner Meinung. Danke für dieses wertvolle Feedback!
Herzliche Grüße
René Schneider
Lieber Herr Schneider,
dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Sie bringen die Problematik genau auf den Punkt!
Ich habe selber ein Kind, welches kurz vor dem (NRW-)Stichtag geboren wurde. Und meines Erachtens ist es noch lange nicht so weit, dass es nächstes Jahr eingeschult werden kann. Klar, einige werden sagen, bis dahin ist noch viel Zeit, aber im Vergleich mit den anderen Kindern aus seiner Kindergartengruppe, die ein paar Monate älter sind, sind deutliche Unterschiede festzustellen, besonders im sozial-emotionalen Bereich. Ich setze große Hoffnungen in die Petition und hoffe, dass sie meinem Kind (und natürlich auch allen anderen betroffenen Kindern) noch etwas nützen wird!
Danke für das Feedback. Ich drücke die Daumen, dass sich die Landesregierung in die richtige Richtung bewegt. Persönlich will ich jedenfalls gerne alles dafür tun.