Wir schieben Lebensmittel

Safttüten im Supermarkt

Der Countdown läuft: Je näher das Weihnachtsfest rückt, desto voller werden die Geschäfte. Auch der Lebensmittel-Einzelhandel erlebt im Dezember die umsatzstärksten Tage des Jahres. Als Tagespraktikant habe ich den Nikolaustag bei Edeka in Rheinberg verbracht, um zu sehen, wie stressig so ein Arbeitstag tatsächlich ist.

Mut zur Lücke gibt’s hier nicht. Wo nichts steht im Regal, kann der Kunde auch nichts mitnehmen. Deshalb heißt die tägliche Herausforderung bei Edeka und anderswo im Lebensmittel-Einzelhandel: packen, packen, packen.
Das beginnt schon morgens um sechs Uhr. Eine Stunde, bevor der rund 1.400 Quadratmeter große Markt in Rheinberg öffnet, sortieren drei Kolleginnen frisches Obst und Gemüse in die Auslagen. Aus der Kühlung kommt die Ware, die morgens nach vorne und abends zurück nach hinten gebracht wird. Radieschen, Rosenkohl, Porree: Der Blumenkohl ist gerade im Angebot.

Entscheidend ist an der Kasse

„Packen Sie ruhig noch ein paar oben drauf“, rät mir die Chefin, Ursula Kusenberg. Es soll nach Überfluss aussehen. So, als sei genug von allem vorhanden. Das mögen die Kunden und greifen gerne beherzt zu. Das, was Frau Kusenberg nicht aus eigener Erfahrung längst weiß, lernt sie bei regelmäßigen Fortbildungen dazu. Schließlich gibt es immer wieder neue Erkenntnisse. So wie die: Egal, wie positiv der Einkauf war, entscheidend ist an der Kasse. Wer hier zu lange wartet, geht auch unzufrieden raus.

Das Team des Edeka-Marktes ist deshalb auch entsprechend groß. Rund 50 Personen sorgen im Drei-Schicht-Betrieb dafür, dass die Kunden Spaß am Einkauf haben. Von Anfang bis Ende. Dazu gehört, dass man freundlich ist, und wenn jemand nach einem Produkt fragt, auch mit zum Regal geht. „Das habe ich schon an meinem ersten Tag gelernt. Kannte ich vorher gar nicht“, erzählt Patrick, der hier vor Jahren seine Lehre gemacht hat und seitdem dabei ist.
Gemeinsam machen wir den MHD-Check. Heißt: Fast jeden Tag laufen die Angestellten durch die Reihen und prüfen, was aussortiert werden muss. Auch wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) eigentlich nur eine grobe Richtschnur ist, wird die Ware umso unverkäuflicher, je näher sie sich dem magischen Datum nähert. MHD plus drei Tage, in unserem Falle also alles, was den Datumsstempel 6., 7. oder 8. Dezember trägt, fliegt aus dem Kühlregal. Ist nicht viel, läppert sich auf die Dauer aber.

Was weg ist, ist weg

Neue und alte Lücken im Regal füllen wir mit Ware. Diese kommt jeden Tag frisch aus dem Lager in Moers. Alles, was bis neun Uhr morgens bestellt ist, folgt sogar noch am gleichen Tag.

Beim „Verräumen“, wie es so schön heißt, achten wir auf die eiserne Regel wonach die Waren mit dem längsten MHD nach hinten ins Regal wandern. Schließlich soll möglichst alles abverkauft werden und sich keine Reste stapeln.
Auf denen bleiben die selbstständigen Edeka-Unternehmer nämlich sitzen. So zum Beispiel beim breiten Sortiment an Weihnachtsschokoladen. „Was ich bis zum 24. Dezember nicht verkauft kriege, setze ich nach Weihnachten preislich herunter. Was dann noch übrig ist, das kommt weg“, erklärt Karl-Heinz Kusenberg, der seit 43 Jahren im Edeka-Universum unterwegs ist. Von der Lehre über eine Marktleitung bis zur Selbstständigkeit hat er es gemeinsam mit seiner Frau gebracht. Seit knapp zehn Jahren ist er unweit des Rheinberger Bahnhofs ansässig. Anfangs führte er parallel dazu noch ein Geschäft in Duisburg. „Aber das ging zum Schluss einfach nicht mehr. Der Laden hier hat unsere volle Aufmerksamkeit gebraucht“, erklärt Kusenberg.

Bürokratie: Wofür eigentlich?

Mittlerweile wartet schon die nächste Generation darauf, aktiv zu werden. Nach einem BWL-Studium und diversen Praktika hat sich die Tochter entschlossen, den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Den Vater macht das sichtlich froh, auch wenn es bedeutet, dass der für 2019 geplante Ruhestand nicht zu 100 Prozent stattfindet. Denn Erfahrung, so meint der Senior, sei noch immer wichtig im Geschäft. Und die wollen die Kusenbergs gerne mit ihrer Tochter teilen.
Bei einer Tasse Kaffee von der fröhlichen Bäckerei, die im Eingangsbereich ihre Backwaren anbietet, sprechen wir darüber, wie sich die Arbeit in den vergangenen Jahrzehnte verändert hat. „Die Bürokratie“, fällt Kusenberg sofort ein, „ist immer mehr geworden. Was wir alles dokumentieren müssen. Und wofür eigentlich?“

Auch ohne alle gesetzlichen Vorschriften halte Edeka „den Laden sauber“. Regelmäßig würde kontrolliert und dabei jeder Betrieb auf den Kopf gestellt. Er zeigt mir einen 20-seitigen Kontrollbogen. Darauf vom Parkplatz bis zur Toilette, von der Fischtheke bis zur Metzgerei alles penibel geprüft und für sehr gut befunden. „Ist doch auch klar. Wenn ich hier Murks mache, kommen die Kunden nicht wieder“, sagt der erfahrene Edeka-Mann.

Neues Gesetz: Ein- oder Mehrweg?

Wie zum Beweis der überbordenden Bürokratie und Regelungswut, darf ich nach meiner Pause gemeinsam mit Marcel Preisschilder im Getränkemarkt austauschen. Ab 1. Januar 2019 gilt das Gesetz, dass explizit darauf hingewiesen werden muss, ob es sich bei den Getränkeverpackungen um Ein- oder Mehrweg handelt. Die Preisschilder vor Kopf müssen entsprechend größer gedruckt werden und finden dicht an dicht kaum noch Platz in der Leiste. „Glaubst du, dass sich nur einer von so einem Schild beeinflussen lässt?“, zweifelt Marcel und zupft stoisch alte Etiketten raus, um die neuen einzufädeln. Er schüttelt mit dem Kopf.

Supermarkt Edeka in Rheinberg
René Schneider beim Tagespraktikum im Edeka-Supermarkt in Rheinberg

Der Markt hat sich mittlerweile gut gefüllt für einen Wochentag. Vorweihnachtszeit eben. Als ich so durch die Gänge gehe, merke ich, dass sich manche Reihen schon wieder gelichtet haben. Der fertige Grünkohl im Schlauch und die abgepackte Leberwurst (fein) könnten schon wieder Nachschub vertragen. Mir kommt es vor wie ein Wettlauf Kunde gegen Mitarbeiter. Der eine nimmt, der andere stellt nach. Nehmen. Geben. Wie in einem Ameisenhaufen weiß dabei im Team jeder, was er zu tun hat. Dazwischen Herr Kusenberg, der mit Handscanner und Papierlisten aufschreibt und nachbestellt. Ein ewiger Wettlauf.

So komme ich mir, als ich hinter der Kollegin an Kasse 1 stehe und ihr über die Schulter schaue, wie ein Mensch vor, der am Kai wartet, um auslaufenden Schiffspassagieren hinterher zu winken. Da fährt sie meine Gulaschsuppe. Tschüss, du gute Butter.

Lebensmittel brauchen Aufmerksamkeit

Gegen Mittag spüre ich Waden und Oberschenkel vom Stehen und Laufen. Es ist keine sonderlich anstrengende Arbeit, aber eine, die Aufmerksamkeit fordert. Gegenüber den Kunden, die von den Mitarbeitern Beratung und Freundlichkeit erwarten, aber auch gegenüber den Produkten. MHD, Mengen, Absatzmöglichkeiten: Alles das muss man im Auge behalten. Jeder Mitarbeiter ist dabei für einen Teilbereich des Marktes zuständig. Nicht zu vergessen die Kolleginnen hinter der Frischetheke, die Ahnung haben müssen von dem, was sie da verkaufen. Das unterscheidet Edeka und andere von den Discountern.

Lange haben sich beide Welten gut ergänzt. Doch seitdem auch Aldi & Co. manche großen Marken vertreiben, ist auch die Konkurrenz untereinander größer geworden. „Wir müssen dann noch ein Schüppchen drauflegen“, weiß Karl-Heinz Kusenberg. Mit regionalen Produkten, etwas höherpreisigen Delikatessen und manchen Veranstaltungen hält und erweitert er seine Kundschaft. So wird es demnächst eine Verkostung von Weinen mit den dazu passenden Käsesorten geben. Das Knowhow dafür ist da. Also nutzen sie es.

Viel Handarbeit steckt im Lebensmitteleinzelhandel

Viel Handarbeit steckt im Lebensmitteleinzelhandel, denke ich, als ich den Marktkittel gegen meine eigene Jacke tausche. Beim Gang nach vorne sehe ich sie wieder: die kleinen Lücken. Und ich sehe Patrick heran eilen, der mit neuer Ware in der Hand diese Lücken ganz sicher wieder füllen wird.

 

Dies ist eine Reportage über meinen Einsatz im Supermarkt. Der Text ist deshalb subjektiv, beschreibt ausschließlich meine Beobachtungen und verzichtet – getreu den Regeln des Genres– auf Bewertungen und Kommentare. Mindestens zwei Mal im Jahr versuche ich, in meinem Wahlkreis einen Tag lang zu malochen. Das habe ich unter anderem schon bei der Müllabfuhrbeim Deutschen Roten Kreuz, auf dem Bau, beim Spargelstechen, in der Großbäckerei Büsch, bei Amazon und McDonald’s getan sowie bei der Polizei und in einem Seniorenheim.

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