Die NRW-Landesregierung feiert sich aktuell für ihr drittes Entfesselungspaket. Die Wirtschaft freut sich. Aber hat sich mal jemand gefragt, was da genau von der Kette gelassen wird und welche negativen Auswirkungen der entfesselte Kapitalismus hat? Am Niederrhein kann man derzeit die brutalen Folgen der Entfesselung erleben.
Der Saal der Gaststätte Thiesen im beschaulichen Alpener Ortsteil Bönninghardt hat sich an diesem Abend Ende September innerhalb von Minuten gefüllt. Viele der 1.700 Einwohner sind gekommen, um sich gegen den Abbau von Kies in ihrem Ort zu stemmen. Der Bürgermeister begrüßt, der Ortsvorsteher moderiert in Oktoberfest-Stimmung, der NABU gibt Auskunft über den aktuellen Stand. Leicht angegilbte Plakate und Transparente, die von den Wänden herabhängen, erinnern daran, dass es hier schon einmal Protest gab. Vor zehn Jahren gingen die Bönninghardter auf die Straße, um eine Trockenauskiesung zu verhindern. Ein riesiges Feld wäre nach jahrzehntelangem Kiesabbau als kahles Loch zurück geblieben. Der damalige Protest war laut – und erfolgreich.
Schraffierte Flächen zeigen Auskiesungsflächen
Jetzt ist es wieder so weit: Der Regionalverband Ruhr (RVR) als Planungsbehörde ist aufgefordert, unseren Rohstoffbedarf sicherzustellen. Das tun Martin Tönnies und seine Kollegen vom RVR, indem sie schauen, wo der begehrte Rohstoff im Boden liegt. Überall dort, wo nicht direkt etwas dagegen spricht – etwa Wälder, Windräder oder größere Straßen – schraffieren sie Flächen auf der Karte und schlagen sie damit als künftiges Abgrabungsgebiet vor.
Diesmal ist es nicht der Acker von vor zehn Jahren, der im Fokus steht, und dennoch sind die Bönninghardter wieder auf den Beinen. Denn schräg gegenüber soll nun trocken ausgekiest werden. Auf rund 18,5 Hektar. Zurückbleiben würde wiederum nur ein tiefes Loch.
Entfesselungspaket II sichert Kiesgeschäft für 25 Jahre
Schuld daran sind unter anderem neue Vorgaben der schwarz-gelben Landesregierung. In ihrem zweiten Entfesselungspaket, wie vor allem Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart seine in Gesetze gegossene Wirtschaftsförderung beschönigend nennt, werden neue Ziele für die Rohstoffversorgung ausgegeben. Für die nächsten 25 statt nur 20 Jahre soll der Bedarf an Sand und Kies fortgeschrieben werden. Der RVR muss deshalb mehr Flächen schraffieren als ihr lieb ist. Im Saal Thiesen betont Tönnies an diesem Abend, dass ihm ein stufenweiser Ausstieg aus der Förderung lieber wäre. Doch er habe keine Politik zu machen. Er müsse die Vorgaben des Gesetzgebers umsetzen.
Und wenn es nach der Mehrheit von Schwarz-Gelb im Landtag geht, werden künftig die Interessen der Kiesindustrie für ein Vierteljahrhundert gesichert werden. Keine schrittweise Reduzierung. Kein Blick darauf, wieviel von dem endlichen Rohstoff noch für unsere Kinder und Enkelkinder bleibt. Das nennt sich dann Entfesselung.
Weil Kies und Sand nicht unendlich vorhanden sind, wäre es klüger, die jährliche Fördermenge nach und nach zu reduzieren. Gingen die Vorgaben von einem Rückgang von zum Beispiel 5 Prozent pro Jahr aus, müsste sich die Bauindustrie zügig nach Alternativen umsehen. Neue Baustoffe, höhere Recyclingquoten und mehr Forschung in diesem Bereich gibt es nur, wenn sich das auch lohnt. Wenn aber die schwarz-gelbe Landesregierung die Kiesförderung ohne Grenzen entfesselt, gibt es den Baustoff weiterhin so günstig, dass der Gedanke über Alternativen einfach nicht lohnt.
Entfesselungspaket für Erfindungsreichtum
Wie schön wäre es doch, wenn die Landesregierung Erfindungsreichtum und Umweltschutz entfesselte, statt blind alle Regeln aufzuweichen oder zu streichen, die der Wirtschaft vermeintlich im Wege sind. Kurz vor Beginn der Diskussion im Saal Thiesen hat der NRW-Wirtschaftsminister noch sein drittes so genanntes Entfesselungspaket in Düsseldorf vorgestellt. Diesmal will er Genehmigungsverfahren beschleunigen, indem er Städte und Gemeinden weniger Mitspracherecht bei der Landesplanung lässt. Das freut die Wirtschaft. Die Bürgermeister lässt es machtlos zurück.
So kommt am Ende jedes einzelne Entfesselungspaket als Bumerang zurück und trifft dabei unter anderem die Menschen auf der Bönninghardt.
Hallo, bin in NRW aufgewachsen, daher trifft mich die Zerstörung meiner ehemaligen Heimat ins Mark. Erst nach dem Umzug nach Belgern / Sachsen vor ca.4 Jahren wurde mir bewußt, wie, und wie Nachhaltig der Raubbau Kies/Sand mithilfe von Konzernen / und Holding wie z.Bsp Hülskens auch hier, paralell zum Westen wüten. Die Genehmigungsverfahren sind nichts anderes als ein Hänneschen Theater. Auf Twitter @ammelgosswitz kann meine jahrelange Recherche verfolgt werden. Die Stufenweise Zerstörung von Lebensraum, Naturschutzgebiete, Landschaftsschutzgebiete,und zerstörung von Hochwasserschutz erfolgen mit einer sogenanten „Betrieblichen Übung“.
Das Prinzip “ Bestandschutz von Genehmigungen“ macht sie zu einem nicht zu stoppenden Selbstläufer. Ein Umweltverbrecherisches Netzwerk schützt zudem den Mafia vergleibaren Raubabbau. i.V.Torgauer Elbaue (Pütz)
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Jetzt mag es zwar viele Bürger geben, die ihre Wahlentscheidung bei der letzten Landtags Wahl zu Gunsten von Schwarz-Gelb bereuen. Leider kommt die Reue spät. Was jetzt bleibt, ist der Protest. Es ist richtig, dass die Forschungsbemuehungen intensiviert werden müssen, statt den Rohstoff-Abbau zu intensivieren. Das gilt für den Energiebereich genau so. Darum werde ich auch an den Protesten im Hambacher Forst teilnehmen.