Als wir meine diesjährige Sommertour planten, konnte noch keiner ahnen, wie heiß im wahrsten Sinne des Wortes das Thema Wald 2018 noch werden würde. Am Ende habe ich in den sechs Sommerferienwochen einen Baum umarmt, mich senkrecht in die Tiefe gestürzt und für Euch weit in die Ferne geschaut. Aber der Reihe nach.
Am Anfang war das Wort: „Gut Holz: Soviel Leben steckt in unserem Wald“. Unter diesem Motto haben wir uns unsere Stationen in Kamp-Lintfort, Rheinberg, Neukirchen-Vluyn, Xanten, Alpen und Sonsbeck ausgesucht. Die größte Schwierigkeit hatten wir dabei in Rheinberg, die – wie sich, wenn man mal genauer auf die Landkarte schaut, schnell herausstellt – waldärmste Stadt im Kreis Wesel und sogar in ganz NRW. Und doch findet man auch hier Menschen, die sich um den Wald kümmern (wollen). In diesem Fall sind es die Jäger, zusammengeschlossen im örtlichen „Hegering“. Der Name ist Programm, geht es doch um Hege und Pflege der Natur. Neben der Jagd an sich kümmern sich die Waidmänner und -frauen wie andere Naturschutzgruppen auch um den Schutz der Umwelt.
Vorurteile gegen Jäger und Mountainbiker
„Halt“, werden jetzt viele einwerfen, das sind keine Naturschützer sondern nur Kerle, die gerne ballern und Tiere töten. Über dieses mächtige Klischee habe ich lange mit dem Vorstand des Rheinberger Hegerings diskutiert. Zu Unrecht fühlen sich die Jägerinnen und Jäger oft in diese Ecke gestellt. Und ich bin geneigt, ihnen zuzustimmen. Allzu oft nämlich schließen wir alle von einem kleinen Teil auf die ganze Gruppe. Faule Lehrer, egoistische Politiker, rücksichtslose Mountainbiker: Auch später bei meinem Besuch auf der Halde Norddeutschland in Neukirchen-Vluyn treffe ich eine Gruppe, die gegen ein vermeintliches Negativ-Image anradelt, das von einigen wenigen Rowdies auf zwei Rädern geprägt wurde.
Die Wahrheit liegt zwischen Hartweiß und Tiefschwarz
Dabei nehme ich viele Menschen und Gruppen ganz anders wahr, als sie von anderen einsortiert werden. Sicher liegt es auch daran, dass dem Gast – mir in diesem Fall – selbstverständlich vor allem die Zuckerseite gezeigt werden soll. Doch scheint mir die Wahrheit immer irgendwo zwischen dem Hartweiß und dem Tiefschwarz zu liegen. Das Grau in all seinen Schattierungen lerne ich auch in diesem Sommer wieder kennen.
Ich umarme einen Baum
Das liegt auch an Melanie Kohl, die ich seit Jahrzehnten kenne und nicht erst in ihrem Beruf – oder besser ihrer Berufung – als Gesundheitscoachin. In dieser Funktion nimmt sie mich mit in den Wald. Zum Baden. Wasser suche ich vergeblich. Gebadet wird komplett angezogen, aber gerne auch mal mit nackten Füßen, im Wald. Wir riechen, schmecken, hören, fühlen eine Stunde lang genau hin. Mit allen Sinnen also genießen wir den Geruch der Bäume, die Süße der mitgebrachten Himbeeren, das Krächzen der Raben im Geäst, die trockenen Blätter unter unseren nackten Fußsohlen.
Ein Spaziergang durch den Wald sei doch lange nichts Neues, kommentieren anschließend fleißige Facebook-Nutzer auf meiner Seite, und das Waldbaden damit nur ein lauwarm aufgekochter Trend. Die Wirkung damals wie heute bleibe die gleiche. Mag sein, denke ich, aber erst die Wiederentdeckung unter neuem Namen regt viele Menschen dazu an, sich mit Wald und Natur wieder auseinanderzusetzen und sie als kostenlose Gesundheitsquelle wahrzunehmen und zu nutzen.
Der Wald ist gesund.
Denn darauf hatte mich schon der Förster hingewiesen, der für die Bislicher Insel in Xanten zuständig ist: Studien bescheinigen dem Wald eine gesundheitsfördernde Wirkung. Konkret senkten die Stoffe in der Luft und am Baum selbst das Risiko, an Krebs zu erkranken. Nicht nur deshalb umarme ich an diesem Morgen zum ersten Mal in meinem Leben dankbar einen Baum.
Klimawald erreicht den Wald
Von denen gibt es auf der oben bereits erwähnten Bislicher Insel ebenfalls jede Menge. Die meisten aber bekommt man nur von Weitem zu Gesicht, weil sich die Natur in der Aue ganz unreguliert verbreiten und entfalten soll. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit also, die keinen Zutritt hat. Die Natur nimmt dieses Angebot dankbar an und revanchiert sich mit der Rückkehr seltener Tierarten wie dem Steinadler. Beobachtet von fleißigen Ornithologen, die sich hinter ihren Ferngläsern auf versteckten Beobachtungsposten über den Anblick erfreuen.
Der Förster hier genauso wie sein Kollege in der rund 16 Kilometer entfernten Leucht schauen jeden Tag genau hin, was in ihrem Wald geschieht. Und obwohl beide unterschiedlichen Generationen angehören, stellen sie fest, dass sich die Vegetation in den vergangenen Jahren gewandelt hat und weiter wandeln wird – wenn nicht gar muss. Weil sich auch das Klima geändert hat. Schon seit Jahren gibt es deshalb einen Klimawald in der Leucht. Auf dieser Fläche wachsen die verschiedensten Baumarten, denen der Ruf vorauseilt, sie kämen mit Trockenheit und Stürmen besser zurecht als die heimische Buche & Co.
Total gestresster Wald
„Der Wald ist total gestresst“, titelt anderntags eine der Zeitungen, die mich bei meinem Besuch in der Leucht begleitet hat. Tatsächlich lässt das Jahr 2018 bislang wenig Zeit zum Durchatmen: Auf den verheerenden Sturm im Januar folgte zunächst wochenlange Hitze. So pulvertrocken waren Blätter und Äste, dass die Kamp-Lintforter Feuerwehr, die ich zu Beginn der Ferien im Wald traf, dauerhaft in Alarmbereitschaft war. Die freiwilligen Helfer übten derweil, kilometerlang Schläuche zu verlegen für den Fall der Fälle. Der trat dann glücklicherweise nicht ein.
Aktuell setzt der Borkenkäfer den Bäumen zu. Er hat es sich unter der Borke gemütlich macht, ohne dass sich die geschwächten Fichten noch großartig wehren könnten. Klingt wie ein Phänomen, das periodisch auftritt. Und tatsächlich erinnere ich mich persönlich noch gut an die 1980er Jahre, in denen der Borkenkäfer schon mal gefräßig zuschlug, während der „saure Regen“ niederprasselte. Das damals prognostizierte „Waldsterben“ ist bis heute Gott sei Dank ausgeblieben.
Also alles immer nur viel Lärm um nichts? Nein, sagen Experten. Vielleicht war es etwas dick aufgetragen, jedoch haben erst die bestürzten Reaktionen und das aktive Gegensteuern dazu geführt, das damals prognostizierte Waldsterben in Deutschland letztlich aufzuhalten. Auch deshalb müssen wir jetzt wieder all jene ernst nehmen, die sich um den Wald sorgen. Und nicht nur um den Wald sondern um unsere gesamte Umwelt. Denn die neue Bedrohung heißt „Klimawandel“!
Fazit meiner diesjährigen Sommertour
Uns Menschen zieht es wieder mehr und mehr raus in die Natur. Ob sportlich auf dem Fahrrad, mit der Flinte in der Hand oder im Wald badend entdecken wir die Vorzüge, draußen zu sein. Was wir so lieben, müssen wir auch pflegen. So wie es die Jäger zum Beispiel tun. Das kann jeder, zum Beispiel indem er von seinem Spaziergang achtlos weggeworfenen Müll mitbringt und entsorgt. Apropos: Raucher sollten sich ganz genau überlegen, was sie mit ihren abgebrannten Stummeln tun. Nicht nur in Zeiten der Waldbrandgefahr, denn achtlos weggeworfene Filter- und Tabakreste vergiften unser Grundwasser.
Langfristig, und das hat dieser Rekordsommer mit viel Hitze, wenig Regen und einer enormen Waldbrandgefahr einmal mehr gezeigt, müssen wir gemeinsam gegen den Klimawandel kämpfen. Einerseits im Kleinen, wo wir alle etwas tun können. Noch wichtiger wird es aber sein, die großen Klimakiller zu identifizieren und sie zu beseitigen. Die Verbrennung von Braunkohle, dicke Dieselmotoren auf Schiffen, unendlich lange Transportwege für Waren und Lebensmittel: Ansatzpunkte gibt es viele und während der vergangenen Sommerferien habe ich einen besonders zu schätzen gelernt. Michael Kopatz‘ „Ökoroutine“ formuliert genau den richtigen Politikansatz.
Je routinierter wir die Natur schützen, umso weniger stört uns der vermeintliche Komfortverlust. Darüber hinaus muss die Politik mutig Verbote formulieren, wo Einsicht und Verhaltensänderungen fehlen. Sonst verlieren wir nicht nur unseren geliebten Wald sondern schlicht und einfach unsere Lebensgrundlage.
Ein sehr guter Beitrag. Ihch hoffe, dass ihn auch der SPD-OppositionsführerTh.Kutschaty liest. Er hat sich gegen Bundesumweltministerin Svenja Schulze positioniert, die ja einen Rodungsstop bis zum Abschluß der Beratungen der Kohlekommission gefordert hatte. Stattdessen vertritt er die Position von A.Laschet und somit RWE, dem Unternehmen, das maximalen Profit aus dem Braunkohleabbau ziehen will.