Der 1. Mai meiner Kindheit roch nach Zigaretten und alten Männern. In der rappelvollen Stadthalle Kamp-Lintforts trafen sich vor allem die Bergleute zu „ihrem Feiertag“, wie sie sagten. Sie rauchten, sangen und soffen Schnaps zum Steigerlied – dazu redete immer jemand von vorne auf die Menge ein und forderte Dinge, die ich nicht verstand. Viel hat sich in den vergangenen Jahren verändert und daran hat nicht nur das Rauchverbot Schuld. Die Reihen haben sich gelichtet, der Knappenchor hat sich im vergangenen Jahr aufgelöst und mittlerweile hat der DGB die Organisation von der örtlichen Bergbaugewerkschaft übernommen. Ein Tod auf Raten? Mitnichten, wenn man den Mut hat, neue Wege zu gehen.
Diesen Mut beweisen aktuell die Organisatoren der Maifeier 2016 in meiner Heimatstadt. Denn Mut gehört dazu, wenn man nach zig Jahren den gewohnten Veranstaltungsort verlässt, um mitten in die Stadt und dazu noch auf den Campus der im Vergleich zum Bergwerk noch nagelneuen Hochschule Rhein-Waal zu ziehen. Das werden viele Stammgäste nicht verstehen und deshalb vielleicht der Veranstaltung fernbleiben. Das wäre schade. Vielmehr ist zu hoffen, dass neue Gäste hinzu kommen, die neugierig sind auf das Programm an diesem (nicht mehr ihrem) Feiertag.
Marketing-Menschen sprechen immer gerne vom Wurm, der dem Fisch und nicht dem Angler schmecken muss, wenn sie ausdrücken wollen, dass es um die Zielgruppe geht, die man erreichen möchte – und nicht um den Geschmack der Auftraggeber. Gemeinsam haben sich hier die Gewerkschaften aufgemacht, um vom höchsten Feiertag der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu retten, was noch zu retten ist. Sie sind vom sprichwörtlich „toten Pferd“ abgestiegen, um noch einmal ein neues Ross zu satteln. Und das ist gut so!
Ich verspreche mir vom neuen „Tag der Arbeit“ in meiner Heimatstadt eine Veranstaltung für alle – Kinder, Jugendliche, Familien, Senioren. Sie sollen zum ersten großen Open-Air-Fest des Jahres zusammenkommen und – ja! – auch darüber sprechen, was (ihre) tägliche Arbeit ausmacht. Da wird es weniger um die Vermeidung körperlich schwerer Maloche gehen, denn um die als belastend empfundene 24-Stunden-Erreichbarkeit via Smartphone und Laptop. Es wird weiter um die Angst vor Jobverlust gehen, weil Computer und Roboter an vielen, zum Teil ungeahnten Stellen die Arbeit übernehmen. Es wird über Mindestlohn und Altersarmut gesprochen werden und darüber, was meine SPD hier schon hat erreichen können. Genug ist es noch nicht.
Im Idealfall werden alle, die gekommen sind, verstehen, wie die Herausforderungen lauten und was Gewerkschaften und Politik nun tun wollen. Wir werden auch wieder singen und Schnaps zum Steigerlied saufen. Denn das gehört zu einer Tradition, die wir unbedingt bewahren müssen! Dafür wünsche ich am kommenden Wochenende allen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern viel Erfolg – hier, wie überall im Lande.