Niederlande: Eine Reise in die Zukunft der Bibliotheken

Davon, dass die Niederländer in den vergangenen Jahren eine Menge Geld in ihre Bibliotheken gesteckt haben und dabei ganz neue Ansätze verfolgen („Van Collectie naar Connectie“), war hier bereits die Rede. Wie das jedoch konkret aussieht, davon konnte ich mich jetzt bei einer kleinen Tour durch drei niederländische Bibliotheken überzeugen.

Bunt, geschwungen, aus Holz: Die Möbel in Nieuwegein sind maßgeschneidert.
Bunt, geschwungen, aus Holz: Die Möbel in Nieuwegein sind maßgeschneidert.

Bibliotheek Nieuwegein

Eine ganze Etage im futuristisch anmutenden neuen Verwaltungsgebäude der Stadt Nieuwegein hat die dortige Bücherei bezogen. Weil die Nutzung nicht von vornherein klar gewesen war, konnten die Bibliotheksleute wohl erst in einem späten Stadium eingreifen und ihre Belange geltend machen. Was ihnen – bis auf die recht funktionale Beleuchtung – auch gelungen ist: Auf rund 3.200 Quadratmetern finden sich geschwungene, zum Teil bunt bemalte Holzlandschaften. Dazwischen kleine Kojen, in denen Jugendliche an der Playstation spielen. In einem größeren Separée wartet eine Xbox Kinect auf junge Mitspieler. Neue Medien spielen in Nieuwegein eine große Rolle.

 

Wenn die Bibliothek wir was zu sagen hat, schreibt sie es aufs Display.
Wenn die Bibliothek wir was zu sagen hat, schreibt sie es aufs Display. Das gibt’s auch auf Rollen.

Bibliothekare und Mitarbeiter an ihrem Schreibtisch sucht man hier vergebens. Sie arbeiten vor allem auf rund 800 Quadratmetern im Back-Office der Bücherei. Weil es sich bei Bibliotheken in den Niederlanden meist um Eigenbetriebe handelt, gibt es neben den einschlägigen Berufen auch eine eigene Personalverwaltung, Controlling und anderen Overhead, so dass insgesamt 14 Vollzeitstellen zur Verfügung stehen. Darunter sogar IT-Mitarbeiter, Redakteure und drei Media-Coaches. Sie kümmern sich unter anderem um die Vermittlung von Medienkompetenz und betreuen die Online-Auftritte der Bibliothek.

Auf der gesamten Etage gibt es so gut wie keine Plakate oder sonstige Aushänge mehr. Alles, was die Bücherei ihren Nutzern mitteilen möchte, sendet sie auf große Flachbildschirme, die hier überall verteilt stehen. Sogar im Sozialraum findet sich ein solches Display, das unter anderem den Stand des internen WM-Tippspiels wiedergibt. Das bringt einen einheitlichen Auftritt und die Möglichkeit, auch Bewegtbilder beispielsweise von neuen DVDs zu präsentieren.

Von letzteren gibt es hier allerdings nicht mehr allzu viele. Auf Musik-CDs verzichten die Nieuwegeiner gleich ganz – zu stark ist die Dominanz der Online-Streaming-Angebote. Durch den Wegfall dieser beiden Medien, die in den Diebstahl-Statistiken auch hierzulande immer ganz oben stehen, fühlten sich die Verantwortlichen letztlich auch ermutigt, auf den üblichen Diebstahlschutz zu verzichten. Folge: keine lästigen Antennen mehr an den Eingängen. Was das für den Medienbestand bedeutet, konnten uns die Bibliothekare nicht sagen – angeblich wird das auch gar nicht mehr gemessen.

 

In diesen Schrank können die Nutzer die Medien zurückstellen, die sie ausgeliehen haben. Wer anschließend vorbeikommt, kann gleich wieder zugreifen.
In diesen Schrank können die Nutzer die Medien zurückstellen, die sie ausgeliehen haben. Wer anschließend vorbeikommt, kann gleich wieder zugreifen.

Rückgabe und Ausleihe laufen in Nieuwegein in Selbstbedienung und über RFID-Technik. Clevere Idee: Neben dem auch in Deutschland sattsam bekannten Verbuchungsautomaten haben die Niederländer eine Art großen Bücherschrank, in den die Nutzer die geliehenen Medien einfach wieder zurückstellen können. Ein Monitor zeigt an, was zurückverbucht wurde. Aus diesem Bücherregal können sich andere Nutzer jederzeit wieder bedienen. Nur das, was am Ende übrig bleibt, wird von den Mitarbeitern wieder in die Regale gestellt.

Die Sortierung verläuft aus deutscher Sicht ziemlich chaotisch. Statt die allgemeine Systematik für öffentliche Bibliotheken zu nutzen, die aus Laien-Sicht manch unverständliche Signatur hervorbringt, geht es hier einfach nach groben Inhaltsrichtungen. So erhält der Krimi oder Thriller ein Pistolen-Symbol, Reiseliteratur oder entsprechende Bildbände einen Globus. Der Standort der Medien kann variieren. Die Regale sind nicht fest beschriftet, sondern die Symbole werden auf Magnettafeln ab- und wieder aufgepappt. So gibt es auch nach Monaten noch immer etwas zu entdecken in der Bibliotheek Nieuwegein.

Ohnehin verinnerlichen die Büchereileute fast 100-prozentig den Gedanken, wonach man sich in der Bibliothek der Zukunft trifft – nicht primär um Medien zu nutzen oder zu leihen, sondern um sich mit anderen auszutauschen beim Kaffee, eine Runde zu spielen oder an einer Lesung teilzunehmen. Die meisten Mitarbeiter lenken die Arbeit aus dem Hintergrund, wer vorne unterwegs ist, berät, informiert und vermittelt weitere Medienkompetenz. Und daneben gibt es eben auch ein paar Medien…

Heimelig mit wenig Überraschungen: die Bibliothek Arnheim
Heimelig mit wenig Überraschungen: die Bibliothek Arnheim

Bibliotheek Arnhem

Durch und durch ein soziales Projekt ist das Kulturzentrum Rozet in Arnheim. Mitten in einen Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf – so würde man das bei uns in Deutschland wohl nennen – wurde das imposante Gebäude hinein gebaut. Dabei stellte das Grundstück in Tortenstückform eine besondere Herausforderung dar. Dafür ist „Rozet“ nun „the place to be“, wie uns der Projektentwickler stolz verkündet. Tatsächlich finden sich hier Künstler aller Sparten und neben einem stadthistorischen Museum Räume für Tanz und Musik, Ateliers und sogar ein riesiger Veranstaltungssaal mit Blick auf die Stadt. Das ganze Interieur des Raumes mit der Kinobestuhlung wirkt wie aus „Gotham City“ hierher geholt. Modern ist das und in der Mischung eine High-End-Ausführung vom Essener Unperfekthaus – zusätzlich mit Bibliothek.

Ach ja, die findet sich auch noch hier, wartet jedoch mit vergleichsweise wenigen Überraschungen auf. Auch hier eine wertige Ausstattung, komfortable Arbeitsplätze für alle, ansprechende Präsentation der Medien und eine hohe Aufenthaltsqualität mit einem sehr guten Restaurant im Erdgeschoss. Mitarbeiter sind hier präsenter und optisch an ihren Halstüchern zu erkennen. Auch wenn Uniformen bei manchen Kollegen verpönt seien, so unsere Führerin durch die Bibliothek Arnheim, könne man beispielsweise an IKEA erkennen, was bei den Nutzern gut ankomme. Die Besucher wollten eben wissen, wen man bei einem Problem oder bei Fragen ansprechen können.

 

Beim Blick in die "Nieuwe Bibliotheek" von Alemere könnte man meinen, in der Mayerschen Buchhandlung oder bei Thalia gelandet zu sein...
Beim Blick in die „Nieuwe Bibliotheek“ von Almere könnte man meinen, in der Mayerschen Buchhandlung oder bei Thalia gelandet zu sein…

De nieuwe Bibliotheek Almere

Nur einen Katzensprung von der alten ist die neue, die „nieuwe bibliotheek“ von Almere entfernt. Mit dem Betonkasten von früher hat der rund ein Jahr alte Bibliotheksneubau nichts mehr zu tun. Im Gegenteil bekommt man beim Betreten das Gefühl, in einen riesigen Buchladen von einer dieser Buchhandelsketten zu kommen: alles sehr elegant und einheitlich gestaltet. Mit Regalen aus dunklem Metall und mit Gummi-Einfassungen, damit sich niemand verletzen kann. Rein optisch wird man durch entsprechende Wegweiser am Regalkopf durchs Programm geführt: Spannung beispielsweise zusammen mit dem stilisierten Bild von Hochspannungsleitungen. Das passt und lädt ein zum Bummeln. Denn die Bücher wenden dem Publikum nicht den Rücken zu, sondern offenbaren ihre Geschichten mit ihrem Gesicht nach vorne. So zieht manches gut gestaltete Buchcover den Flaneur magisch an. Stöbern, mit zum Platz nehmen, anschauen und verweilen: Dieses Kaufhaus-Prinzip macht sich auch Almere zu eigen – mitsamt einem modernen Café, einem kleinen Theatersaal mit Kinoprogramm und vielen gemütlichen Sitzecken, in denen man auch das unglaublich reichhaltige Zeitschriftenangebot genießen kann.

Nebenbei bemerkt: Wie überall in den Niederlanden gehört kostenloses WLAN zum Angebot selbstverständlich dazu. Kurze Bestätigung der Nutzungsbedingungen und dann ab ins weltweite Netz.

Ein reichhaltiges Zeitschriftenangebot und richtig gemütliche Sitzecken locken nicht nur Studenten in die "Nieuwe Bibliotheek".
Ein reichhaltiges Zeitschriftenangebot und richtig gemütliche Sitzecken locken nicht nur Studenten in die „Nieuwe Bibliotheek“.

Das kommt auch den Studenten zugute, die neuerdings vis-à-vis zur Bibliothek in die Hörsäle strömen und zum Arbeiten rüber in die Bibliothek kommen. Denn hier warten Einzel- wie Gruppenarbeitsplätze und eine extrem angenehme Aufenthaltsqualität. Zugute kommt der neuen Bibliothek aber auch, dass die Kollegen der Hochschulbücherei ein paar Stockwerke drüber ebenfalls Literatur vorhalten.

In Almere sieht man mehr Mitarbeiter im Kundenbereich. Da wird auch schon mal verbucht und eine Diebstahlsicherung schützt die Medien – auf Musik-CDs wird auch hier verzichtet. Interessant, dass die Bibliotheksmacher schon vor dem Neubau und immer wieder aufs Neue ihre Nutzer nach deren Wünschen befragen. Was kommt an? Was fehlt? Wie zufrieden sind die Almerer mit Service und Freundlichkeit? Um diese Fragen zu beantworten, werden auch mal Testnutzer, so genannte Mystery-Shopper in die Bücherei geschickt. Man wolle ständig besser werden. Denn eine neue Bibliothek wird eben nie fertig!

 

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