Kompass aus der Corona-Krise

Ein Kompass zeigt, wo es langgeht. Bei meiner Ausbildung zum Wanderführer durfte ich mit Kompass und Karte durchs Gelände. Das klappt vorzüglich, so lange man nur die Landkarte richtig ausrichtet. Tut man das nicht, meint man zwar, auf dem richtigen Weg zu sein. In Wahrheit aber läuft man fröhlich in die falsche Richtung. Genau das passiert gerade der NRW-Landesregierung.

Ich behaupte mal, dass sich die Minister und ihr Chef, Ministerpräsident Armin Laschet, zum Start ihrer Lockerungstour überlegt haben, wo es denn am Ende hingehen soll. Was ist das Ziel? Danach Karte raus und den inneren Kompass gefragt, welcher Weg zu nehmen ist. Und los geht’s!

Weg und Richtung kennen

Das Problem: Unsere Wanderführer sind losgezogen, ohne viele nicht ganz unwichtige Menschen mitzunehmen. Diese sind zunehmend verwirrt, weil ihnen zwar die grobe Richtung gezeigt wurde, der Wanderführer danach aber plötzlich verschwunden ist. „Du machst das schon irgendwie. Da geht’s lang“, hören Eltern, Lehrer, Erzieher und viele Selbstständige seit Wochen von der Landesregierung.

Der Wanderführer gehört jedoch an die Spitze der Gruppe. Zu ihm muss man hinschauen und beruhigt feststellen können, dass jemand führt, der Weg und Richtung kennt. Und da kommen wir zum zweiten Problem dieser schwarz-gelben Landesregierung in NRW. Sie mag einen inneren Kompass haben, doch zeigt der vor allem bei den FDP-Ministerinnen und Ministern in eine völlig falsche Richtung. Da hilft dann auch die richtige Landkarte nicht mehr.

Beispiel Schule: Seit Anbeginn der Corona-Pandemie kämpft die Schulministerin dafür, alle Kinder irgendwie mindestens einen Tag in der Woche und vor allem noch vor den Ferien in die Schule zu bekommen. „Da muss es langgehen!“, ruft sie laut aus der letzten Reihe und schickt Lehrer und Eltern gemeinsam mit ihren Kindern los. Warum aber will sie dorthin?

Der liberale Kompass funktioniert eben so. Es geht um Leistung in dieser Gesellschaft. Es kann keinen Abschluss geben ohne Prüfungen, die international vergleichbar sind. Niemand soll anschließend sagen können, die NRW-Schulabgänger seien nicht spitze und absolut leistungsfähig. Schließlich besteht ja auch eine Schulpflicht!

Kompass weist in falsche Richtung

Das Ergebnis: In der Grundschule meines Sohnes haben seit Montag alle Klassen wieder Präsenz-Unterricht. Genau acht Mal bis zu den Sommerferien! Manche Wochen gar nicht, weil das vom Schulministerium erdachte „rollierende System“ nicht mit Feiertagen gerechnet hat. Der für die Kinder verstörenden Premiere am Montag (Mindestabstand, Einbahnstraßen, Pausenspiele mit 1,50 Meter-Abstand) folgen sechs Termine plus der letzte Tag vor den Sommerferien, an dem inhaltlich nichts mehr passieren wird.

Hier hat der bildungspolitische Kompass in die völlig falsche Richtung gezeigt! Mein persönlicher Kompass sagt mir, dass Schule für dieses Halbjahr gelaufen ist. Gerechte Benotungen sind vollkommen unmöglich und die Versetzungen ohnehin garantiert. Die meiste Zeit lernen die Kinder zu Hause und online. Dazu fehlen den Lehrern Programme, Lizenzen, Know-how und Rechtssicherheit, während Eltern neben dem Job und ihren Zukunftssorgen auch noch die Hauslehrer spielen müssen. Da könnten Pädagogen ganz praktisch den Eltern helfen, statt Abstandsregeln und Händewaschen in der Schule zu beaufsichtigen. Wenn man das als Ministerin so erkennen und umsetzen würde. Doch zeigt ihr Kompass eben in eine andere Richtung.

Kompass zeigt Richtung Wirtschaft

Ein weiteres Beispiel für Politik in die falsche Richtung war das Herumeiern in Sachen Landesgartenschau 2020. Als eine der ersten Lockerungen nach dem Lockdown hatte die Landesregierung beschlossen, Möbelmärkte zu öffnen. Als Wiege der Küchenbauindustrie sei das in NRW unbedingt wichtig. Flugs öffneten Möbelmärkte wie IKEA und die Menschen standen Schlange, um sich anschließend durch die Gänge der Gebäude zu winden. Umgekehrt mussten wir lange auf die Genehmigung warten, die Landesgartenschau in Kamp-Lintfort zu eröffnen. Sie bietet seit Anfang Mai auf 40 Hektar Außengelände Platz für Familien, Kinder und Menschen, die endlich wieder raus wollen ohne andere zu gefährden.

Die Wohltat einer Landesgartenschau in Corona-Zeiten hatten die verantwortlichen Minister nicht auf dem Schirm. Wie auch, zeigt ihr Kompass doch in Richtung Wirtschaft statt Gemeinwohl. Um nicht missverstanden zu werden: Am Ende zählt auch jeder gerettete Arbeitsplatz, jede unternehmerische Existenz und jede finanzielle Sorge, die ich von einem Menschen nehmen kann. Das möchte ich aber auch genau so denken – als Dienst am jeweiligen Menschen und nicht als notwendige Maßnahme zur Rettung des Wirtschaftswachstums.

Was ist also die Alternative?

Was also können wir tun, damit es wieder in die richtige Richtung geht? Ganz einfach: Der Kompass muss wieder in Richtung Mensch zeigen. Bei allem, was ich tue als Gesellschaft muss die Frage stehen, wie es uns Menschen als Individuum und der Gesellschaft als Ganzes dient. Ich möchte nicht für ein System Politik machen, sondern für Menschen, die ein gesundes, unbeschwertes und friedliches Leben miteinander führen wollen. Dabei gehört selbst jetzt noch das Thema Umweltschutz dazu, denn ich höre schon die Wirtschaftsvertreter, die nach der Corona-Krise fordern, alle Umweltauflagen fallen zu lassen.

Wenn dann Entscheider an der Macht sind, deren Kompass in die falsche Richtung weist, werden wir alle auf eine Reise geschickt, die kein gutes Ende nimmt!

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