Happy Neujährchen!

Regelmäßig gehe ich in meinem Wahlkreis auf Schicht. Nach Seniorenheim, Amazon und McDonald’s habe ich mich diesmal in die Backstube gewagt – und das kurz vor Weihnachten.

Christstollen? Lebkuchen? Spekulatius? Dafür komme ich zu spät. Der Arbeitstag bei der „Fröhlichen Bäckerei Büsch“ beginnt an diesem Dezembermorgen mit Nussecken. Die Schneidemaschine, die aussieht wie ein Beil, besorgt blechweise den Schnitt des gebackenen Teigs. Mit Messer und Spachtel bewaffnet hebe ich die Dreiecke vom Backpapier und staple sie hochkant. Dutzende, hunderte, ja tausende süße Dreiecke. Montag und Donnerstag werden bei Büsch Nussecken gebacken. Jeweils rund 7.000 Stück. Macht zusammen etwa 14.000 Teilchen, die von Kamp-Lintfort aus zu den 175 Filialen der Bäckerei in ganz NRW geliefert werden.

Morgens um sieben vor der Großbäckerei Büsch.

Was jetzt noch fehlt, das ist die Schokolade und so wandere ich mit einem der Transportwagen hinüber zum Schokoladen-Band. An einem Ende legt Nancy fleißig Nussecke um Nussecke auf das metalerne Fließband, das sich langsam ins Schokoladenbad senkt. Dort bekommen die Nussecken ihren seitlichen Überzug, der danach sechs Meter Zeit hat, um hart zu werden. Am anderen Ende stehe ich. Nach kurzer Einweisung sortiere ich immer zehn Ecken auf eine Stiege. Zwei mal 25 Stiege passen auf einen Transportwagen. So lange, wie Nancy am Start noch Milde walten lässt, komme ich so gerade hinterher: Leeren Korb vom Wagen nehmen, Papier drunter, je zwei Nussecken pro Hand vom Band aufs Papier. Damit ich nicht permanent nachzählen muss, wähle ich die immer gleiche Anordnung für die zehn Teilchen. Das klappt zunächst mal gut. Brenzlig wird’s jedoch dann, wenn ein Wagen voll ist, der weitergeschoben und durch einen neuen (leeren) ersetzt werden muss. Denn das Transportband läuft unerbittlich weiter und als Nancy schließlich keine Lücken mehr lässt, um den Neuen auf die Probe zu stellen, komme ich unter meinem weißen Häubchen kräftig ins Schwitzen.

Bevor die immer gleichen Handgriffe langweilig werden können, holt mich der Abteilungsleiter ab. Frühstückspause. Die verbringt man hier im Pausenraum, der ans öffentliche Handwerkercafé grenzt, das ebenso wie die Großbäckerei an 363 Tagen im Jahr geöffnet hat. Rund um die Uhr. „Gebacken wird hier immer“, verrät mir Herr Graf, der bei Büsch so etwas wie der Mann für alle Fälle ist. Arbeitsschutz, Reinigung, Gästeführer: Heute springt der Rheinberger sogar beim Bezahlen ein, denn ich habe mein Geld im Spind vergessen. Brötchen mit Leberkäse und Spiegelei gibt’s um kurz nach zehn zum Frühstück. Dazu Pausengespräche mit Kollegen, die noch von der Weihnachtsfeier am vergangenen Samstag schwärmen. Die lässt sich Büsch einiges kosten: Von den rund 2.000 Mitarbeitern in Bäckerei und Filialen haben etwa 1.200 Kollegen kräftig gefeiert.

Start an der Moerser Straße

Begonnen hat die Bäckerei in den 1970er Jahren an der Moerser Straße in Kamp-Lintfort. Dort übernahm Firmengründer Norbert Büsch die Traditionsbäckerei „Holla“ und eröffnete in den Folgejahren sukzessive einen Laden nach dem anderen. Als Leiter Expansion kümmert sich Büsch als einer von drei Geschäftsführern bis heute darum, immer neue Geschäfte aufzumachen. Obwohl 100-prozentige EDEKA-Tochter ist es nicht selbstverständlich, dass jede neue Supermarkt-Filiale automatisch auch der Firma Büsch ein Plätzchen vor den Kassen einräumt. Im Gegenteil müssen sich die Büsch-Leute noch immer um jeden einzelnen Standort bewerben. Ihr Pfund: Sie lieben Lebensmittel. In der Backstube wird zwar auch mit großen Maschinen gearbeitet, die Zutaten und deren Veredelung bleiben jedoch Handarbeit und leben damit von echter Bäckerkunst.

Die passende Arbeitskleidung wird gestellt. Damit verhindert man u.a., dass lose sitzende Knöpfe in den Teig fallen können. Die roten Flecken auf der Schürze sind übrigens kein Blut sondern Kirsch-Gelee.

Das wird mir in der „Sahne-Abteilung“ so richtig bewusst. Hier arbeitet man praktisch auf dem Präsentierteller, denn durch große Fensterscheiben können die Gäste des Handwerkercafés dabei zuschauen, wie Sahnetorten und -schnittchen entstehen. Meine neue Aufgabe hier: In längliche Kuchenbleche bette ich streifenweise den Kuchenboden, um danach mit einem Spritzbeutel lange Bahnen Kirschmasse auf den saftigen Boden zu ziehen. Die so vorbereitete Form wandert weiter zum Konditor, der eine Quark-Sahne-Mischung in die Formen streicht und mit einem überdimensionalen Spachtel bündig abstreift. Der ganze Raum duftet nach Kirschen, was sicherlich auch an dem Konzentrat liegt, das in die Sahnemischung gerührt wird.

Auch hier lerne ich schnell wieder die richtigen Handgriffe und merke bald, wie ich mir die Arbeit am leichtesten machen kann. Genau in diesem Moment beginnt der Ablauf monoton zu werden. Doch bald werde ich wieder weggeholt, um noch einmal näher an den Ofen zu kommen. Diesmal beschicken wir ihn mit unseren Baguettes. Der Teig wird frisch gemacht und erreicht uns auf Bändern. Die Maschinen arbeiten vor, so dass mein Kollege und ich nur noch die länglichen Teig-Rohlinge von der gut gemehlten Ablage am Ende des Bandes hinüber legen müssen auf hitzebeständige Bretter. Stück für Stück heben wir immer sieben Brote auf ein Brett. Drei Bretter werden uns von der Maschine jeweils hingeschoben. Sind sie voll, wandern sie auf unseren Knopfdruck hin weiter zum Ofen. Das geht träge, so dass wir schon „bothern“, bevor der letzte Rohling tatsächlich platziert ist. Erfahrungswerte eben. Bevor ich selber stöhnen kann, meint mein neuer Kollege: „Eintönig, oder?“

Das ändert sich, als ich zu meiner letzten Station des Tages komme. Hier werden schon jetzt „Neujährchen“ gedreht. Rund 40 Zentimeter lange, etwa einen Zentimeter dicke Teigwürste werden von beiden Enden her wie Schnecken zur Mitte hin aufgedreht. Drei von diesen „Paddeln“ legen wir versetzt übereinander, so dass es in jeder Hinsicht rund aussieht. Silvester kommen diese Stücke in den Handel und werden bis dahin auf vier Grad Celsius gekühlt. Das, so erklärt man mir später, mache nicht nur haltbar, sondern verlangsame den Gärungsprozess der Hefe, ohne dass diese ganz ihre Tätigkeit einstelle. Für den Geschmack am Ende ein riesiger Unterschied.

Um kurz nach eins verlasse ich die Großbäckerei, in der insgesamt 18 Meister tätig sind. Rund 300 Menschen arbeiten zu Tariflöhnen in der Backstube, um eine Produktpalette von bis zu 180 verschiedenen Artikeln zu bedienen – je nach Saison und Jahreszeit. Um das bei den gigantischen Stückzahlen zu bewerkstelligen, braucht es große Maschinen und Öfen, am Ende jedoch immer auch geschickte Hände, die schneiden, streichen, legen, falten und rühren. Bäcker, das ist auch in einem Großbetrieb immer auch Handwerk.

Dies ist eine Reportage über meinen Arbeitstag in der Großbäckerei Büsch. Der Text ist deshalb subjektiv, beschreibt ausschließlich meine Beobachtungen und verzichtet – getreu den Regeln des Genres– auf Bewertungen und Kommentare. Mindestens zwei Mal im Jahr versuche ich, in meinem Wahlkreis einen Tag lang zu malochen. Das habe ich unter anderem schon bei Amazon und McDonald’s getan sowie in einem Seniorenheim.

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